DAW - Verfahren - Angstmessung

   
>>
Grundlagen
>>
Angstmessung
>>
Gütekriterien
>>
Anwendung
>>
Computereinsatz

2. Die Messung von Angst

Buch: Schoefer 1980

Zur Gewinnung von auswertbarem Sprachmaterial können natürliche Texte herangezogen werden oder, häufiger angewendet, standardisierte, monologartige Sprachproben erhoben werden. Die Mindestgröße des Textes für eine Analyse sollte nach Gottschalk & Gleser (1969) 80 Worte, nach Schöfer (1980) 100 Worte betragen.
Die Standardinstruktion für das Erheben einer solchen Sprachprobe lautet (aus Schöfer, 1980, S. 69): "Dies ist eine Sprachprobe. Bitte berichten Sie in den nächsten fünf Minuten über etwas Interessantes und Aufregendes aus Ihrem Leben. Ich werde Ihnen in dieser Zeit nur zuhören und keine Fragen beantworten. Wollen Sie mich vorher noch etwas fragen? Bitte fangen Sie an." Gottschalk & Bechtel (1993) bereichern diese Anweisung noch um den Hinweis, daß der Proband, wenn er ein aufregendes Ereignis vollständig erzählt hat, er über ein weiteres solches Ereignis berichten soll, bis die fünf Minuten vorüber sind.

Diese Äußerungen werden aufgenommen und anschließend transkripiert, so daß immer geschriebene Texte als Material für die eigentliche Messung zur Verfügung stehen.
Dieses Material wird dann in Codierungseinheiten (in der Regel ein Satz), Kontexteinheiten (möglichst eng) und Auswertungseinheiten (die Gesamtheit eines Textes) zergliedert und die Wortanzahl des Textes bestimmt. Dann wird dieser Satz für Satz durchgegangen und anhand der Angstformen und ihres Auftretens codiert, wobei ein standardisiertes Codiersystem verwendet wird. Die genauen Regeln und insbesondere deren Ausnahmen können hier nicht dargestellt werden, sie sind sehr ausführlich und gut nachvollziehbar in Schöfer (1980) beschrieben.

Die nachfolgende Tabelle gibt Beispiele aus Schöfer (1980), welche Äußerungen zu welcher Kategorie gezählt werden.

Kategorie

Beispiel

Todesangst

 

a) bei dem Sprecher

Bei meinem Herzinfarkt hatte ich Todesängste.

b) anderen Lebewesen

Er fürchtete, an seiner Krankheit zu sterben.

c) unbelebten Objekten

Das Auto hatte einen Totalschaden.

d) Verneinung

Ich habe keine Angst vorm Sterben.

Verletzungsangst

 

a) bei dem Sprecher

Ich hatte einen schweren Kieferbruch.

b) anderen Lebewesen

Sie blutete am Kopf.

c) unbelebten Objekten

Ich hatte einen Motorschaden.

d) Verneinung

Unser Haus blieb unbeschädigt.

Trennungsangst

 

a) bei dem Sprecher

Mein Vater hat uns verlassen.

b) anderen Lebewesen

Er hatte Angst, seine Frau zu verlieren.

c) unbelebten Objekten

Es war eine einsame Gegend.

d) Verneinung

Ich fürchte mich nicht vorm Alleinsein.

Schuldangst

 

a) bei dem Sprecher

Ich habe da einen großen Fehler gemacht.

b) anderen Lebewesen

Er war in seinem Dorf schlecht angesehen.

d) Verneinung

Er beteuerte seine Unschuld.

Angst vor Scham/Schande

 

a) bei dem Sprecher

Er hat mich nie für voll genommen.

b) anderen Lebewesen

Der Chef nannte ihn einen Versager.

d) Verneinung

Wider Erwartung wurde ich nicht ausgelacht.

Diffuse Angst

 

a) bei dem Sprecher

Ich war immer ein Angsthase.

b) anderen Lebewesen

Sie gerät sehr leicht in Panik.

d) Verneinung

Ich bin nicht ängstlich.

Tabelle: Angstkategorien nach Gottschalk-Gleser und Beispieläußerungen aus Schöfer (1980)

Jede dieser Angstformen wird einzeln ausgezählt, so daß sechs Rohwerte vorhanden sind. Diese Rohwerte sind nicht die Anzahl der Auftretenshäufigkeiten, sondern die Summe der Gewichtungen, die sich wiederum ergibt aus dem Auftreten der Angst. So wird z. B. die Angst beim Sprecher mit 3 gewichtet, bei anderen Personen mit 2 und die Angst bei unbelebten Objekten oder die Verneinung und Verleugnung von Angst jedoch mit 1. Die erhaltenen Rohwerte werden nach folgender Formel für jede Kategorie zu sechs einzelnen Angstscores verrechnet:

Formel
(S= Angstscore, WZ= Anzahl der Worte, R= Rohwert)

Die Bestimmung eines Gesamt-Angstscores erfolgt nicht über die Addition der einzelnen Angstscores, sondern über die Formel:

Formel
(ZS= Gesamtscore, WZ= Anzahl der Worte, R= Rohwert)

Diese Scores können anschließend interpretiert und weiter ausgewertet werden. Für die USA liegen dafür bereits Normwerte vor (s. z. B. im Anhang von Gottschalk & Bechtel, 1993, oder in Gottschalk, 1995).
Der Zeitbedarf für diese Prozedur bei manueller Durchführung ist enorm, eine in dem Verfahren geübte Person braucht inkl. fünfminütiger Sprachprobenerhebung und Transkription etwa zwischen 30 min und 1 Stunde pro Text (Schöfer, 1980).
Trotz sehr ausführlicher Darstellung und Beschreibung in Gottschalk & Gleser (1969) oder in Schöfer (1980) sind zum sicheren und validen Beherrschen der Auswertungsmethodik eine gründliche Einarbeitung und viel Übung und Erfahrung vonnöten, Tschuschke (1996) geht z. B. von etwa 80 Stunden Trainigsbedarf für einen Kodierer aus. Die Kodierungen sind auch in jedem Fall vom Kodierenden (Persönlichkeit, Vorerfahrung mit der Analyse, Vorwissen über den Textproduzenten) abhängig. "Ein computerisiertes Scoring-System, welches auf diese inhaltsanalytischen Skalen zugeschnitten wäre, würde die Scoring-Probleme lösen." (Gottschalk, 1986, S. 37).


Zurueck Anfang Weiter


© Hendrik Berth, TU Dresden