DAW - Verfahren - Grundlagen

   
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Auf den folgenden Seiten (Verfahren) wird kurz das Gottschalk-Gleser-Verfahren zur Messung ängstlicher und aggressiver Affekte vorgestellt. Schwerpunkt liegt dabei auf den sechs Angstskalen. Die anderen Gottschalk-Gleser-Skalen: Hostility Scale, (Schizophrenic) Social Alienation and Personal Disorganisation, Cognitive and Intellectual Impairment Scale, Depression Scale oder "Hope" Scale (Gottschalk & Bechtel, 1993) werden vorerst nicht betrachtet. Die angeführte Literatur finden Sie (zumeist) auf der Literatur-Seite

Louis A. Gottschalk

"Warum waren es nun gerade deutsche Verhaltenswissenschaftler - viele von ihnen auch noch in Psychoanalyse ausgebildet -, die sich für unsere Sprachinhaltsanalyseskalen interessierten und sie ins Deutsche übertrugen? Ich vermute, es gibt hier mehrere Gründe. Der erste und vielleicht wichtigste Grund könnte in dem Interesse an der Phänomenologie von Dingen gesehen werden, ein Interesse, das innerhalb der deutschen Wissenschaft eine lange Tradition hat. Ein weiterer Grund mag in dem ethnisch und kulturell begründbaren Interessen an Präzision und Genauigkeit liegen. Als dritten Grund möchte ich das Interesse nennen, eine psychologische Dimension klar zu definieren und zu erfassen, dies auch dann, wenn deren Operationalisierung schwierig ist und die begrenzt beobachtbaren Kriterien einen Rückgriff auf subjektive Erfahrungen verlangen. Diese charakteristischen Merkmale der "deutschen Persönlichkeit" haben zu der hervorragenden Stellung der deutschen Wissenschaft beigetragen."(Louis A. Gottschalk in Geleitwort zu Koch & Schöfer, 1986, S. X)

1. Grundlagen


Buch Gottschalk und Gleser, 1969

Louis A. Gottschalk und Goldine C. Gleser (1969) entwickelten und erprobten seit den 60er Jahren in den USA ein sprachinhaltsanalytisches Verfahren, das der Erfassung momentaner bewußter oder unbewußter Affekte dient. Eingesetzt wurde es u. a. in der Psychodiagnostik, in psychosomatischer, psychotherapeutischer, psychopharmakologischer und psychophysiologischer Forschung und in der vergleichenden Sprach- und Literaturforschung (vgl. Gottschalk 1995, 1997). Das Gottschalk-Gleser-Verfahren ist das einzige bedeutende sprachinhaltsanalytische Verfahren zur Messung von Zustandsemotionen, das weltweit Verbreitung gefunden hat (Suslow, 1995). Affekte sind dabei "feeling states that have attributes of quality and quantity. Affects and emotions have subjective, purely psychological components as well as physiological, biochemical, and behavioral concomitants." (Gottschalk & Gleser, 1969, S. 14). Die Größe eines Affektes kann dabei "aus dem Transkript eines gesprochenen Textes beurteilt werden, wenn allein inhaltliche Variablen und keine parasprachlichen Variablen berücksichtigt werden." (Gottschalk & Gleser, 1980, S. 18).

Angst verstehen Gottschalk & Gleser (1980) als momentanen und labilen Gefühlszustand (stait), für den es wenig objektive Maße gibt. Theoretische Grundannahmen des Verfahrens sind (Plewa, 1980; Tschuschke, 1996):

1. Aktuelle Affekte wirken sich auf Denken und Sprache eines Individuums aus.

2. Durch die Erfassung des Redeverhaltens läßt sich die Größe eines Affekts messen.

3. Die Größe des Affekts verhält sich direkt proportional zu den Faktoren "Auftretenshäufigkeit", "persönliche Beteiligung" und "Direktheit".

4. Persönliche Beteiligung und Direktheit können durch einen Gewichtungsfaktor mathematisch dargestellt werden. Sie werden durch Abwehr- und Anpassungsmechanismen beeinflußt.

5. Die Affektstärke läßt sich bestimmen aus dem Produkt der Auftretenshäufigkeit eines Affekts und seinem zahlenmäßigen Gewicht, das sich aus der persönlichen Beteiligung ergibt.

Gottschalk & Gleser unterscheiden in ihrem Ansatz zwischen sechs verschiedenen Angstformen:

Todesangst:

"Mit dieser Subskala werden alle Inhalte erfaßt, die direkt von Tod, Zerstörung, Sterben oder einer solchen Bedrohung handeln. Sie gilt damit sowohl realen Ängsten in einer bestimmten Situation (z. B. Krieg), als auch solchen Formen wie Vernichtungsangst oder Angst vor der Auflösung des Selbst." (Schöfer, 1980, S. 47)

Verletzungsangst:

"Diese Subskala gilt allen Inhalten, die von physischer Verletzung handeln. Gottschalk und Gleser setzen die Verletzungsangst der Kastrationsangst aus der psychoanalytischen Theorie gleich. Auch bei dieser Angstform sollte man zwischen der realen Angst vor einer Verletzung ... und der Vorstellung einer körperlichen Verstümmelung als Reaktion auf verbotene Wünsche differenzieren." (Schöfer, 1980, S. 47)

Trennungsangst:

"Unter diesem Begriff sind die psychoanalytischen Formen der Angst vor Objektverlusten und der Angst vor Verlust der Liebe des geliebten Objektes subsumiert. Gottschalk und Gleser bewerten u. a. auch Äußerungen über Einsamkeit oder Alleinsein in dieser Subskala." (Schöfer, 1980, S. 47)

Schuldangst:

"Unter dieser Subskala werden Inhalte wie Kritik, Beschimpfung, Beleidigung, Mißhandlung, Grausamkeit, Verurteilung, Mißbilligung, etc. erfaßt. Es sind zwei unterschiedliche Phänomene, die unter dem Begriff Schuldangst subsumiert sind. Zum einen die Angst vor Kritik, Beschimpfung, etc. durch andere (Angst vor Beschuldigung), ohne daß dabei ein subjektives Schuldgefühl vorhanden sein muß, und zum anderen ein Schuldgefühl aufgrund unerlaubter Gedanken und Taten, die das Subjekt begangen hat (Angst vor Bestrafung)." (Schöfer, 1980, S. 48)

Angst vor Scham/Schande:

"Diese Subskala gilt Äußerungen über Spott, Unzulänglichkeit, Verlegenheit, Demütigung, Hervorhebung von Schwächen, etc." (Schöfer, 1980, S. 48)

Diffuse oder unspezifische Angst:

"Mit dieser Subskala werden Wörter oder Sätze erfaßt, in denen Angst oder Furcht ohne Charakterisierung der Art oder der Quelle erwähnt werden. Diese Subskala unterscheidet sich von den fünf anderen grundlegend, da hier kein bestimmter Inhalt (Tod, Verletzung, Trennung, etc.) angesprochen ist, sondern daß die Tatsache der Erwähnung von ... mit Angst verbundenen Begriffen das Vorkommen von Angst anzeigt, ohne daß gleichzeitig ein bestimmter Inhalt angesprochen ist." (Schöfer, 1980, S. 48).

Innerhalb der einzelnen Gottschalk-Gleserschen Angstkategorien wird nochmals differenziert, ob diese Angst erlebt worden oder aufgetreten ist bei a) dem Sprechenden, b) anderen Lebewesen, c) unbelebten Objekten (nur bei einigen Kategorien) oder ob es sich d) um eine Verneinung oder Verleugnung handelt.

Natürlich ist das Gottschalk-Gleser-Verfahren nicht unumstritten und fehlerfrei. Wenn man z. B. dem Modell von Bühler (1934) folgt, nachdem Sprache drei Funktionen besitzt: Symptomfunktion, Symbolfunktion und Signalfunktion, so ist festzustellen, daß die Gottschalk-Gleser-Analyse diese (oder auch andere mögliche Einteilungen der Funktion von Sprache) vernachlässigt und Sprache allein auf ihre Symptomfunktion reduziert. Die Möglichkeit, daß Personen z. B. die darstellende Funktion benutzen, wird außer acht gelassen.

Merten (1995, S. 210) nennt folgende Kritikpunkte:

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© Hendrik Berth, TU Dresden