Bahndesign


Meine Name ist Dietmar Wischmeyer und dies ist das Logbuch einer Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten. Hier ist mein Bericht:

Langsam, unpünktlich, häßlich! Na, wer fällt einem da ein? Richtig! Die Bahn. Wer nicht gerade im ICE auf einer Neubaustrecke unterwegs ist, zuckelt wie weiland der Kaiser durch's Reich.

Von der mitteleuropäischen Zeitmessung hat man sich auch weitgehend emanzipiert. Bester Witz: Bis zu fünf Minuten Verspätung gelten bahnbetrieblich noch als pünktlich. Nun überlegt man, an allen Bahnhofsuhren die großen Zeiger abzuschaffen, um den Kunden nicht weiter zu irritieren.

Statt sich um die eigentliche Aufgabe zu sorgen - nämlich Menschen zuverlässig von A nach B zu verfrachten - widmet sich der kranke Mann auf dem Gleisbett lieber der ästhetischen Irritation seiner Kundschaft. Unvergessen sind die dünnschiß-farbenen Polstergruppen in der ersten Intercity-Generation. Geradezu ein Klassiker widerwärtiger Inneneinrichtung wurde das Bistro im Interregio. Stilsicher ist die Kontaktzone einer thailändischen Striptease-Bar nachgebildet. Niemanden würde es wundern, träte die Zugbegleiterin im Stringtanga ins Coupé und schubberte ihren Venushügel an einer der vielen Messingstangen im Raum. Weitere Kennzeichen dieser zeitlosen Ästhetik des gewollt Modischen sind die witzigen Tischlein überall, an denen man sich je nach Montagehöhe die Rippen oder das Gemächte stauchen kann.

Das gesamte polygone Mobiliar inklusive goldbedampfter Spiegelscherben ist so zusammengeschraubt, daß es einem Höchstmaß an Vibrationen ausgesetzt ist. Das Bistro-Design der Bahn AG wurde oft kopiert - jedes zweite Hotelzimmer im Lande sieht mittlerweile so aus - echt ist es aber nur, wenn alles vor sich hinrappelt.

Auch nicht von schlechten Eltern ist die Außenhaut des rollenden Materials. Zwei Prinzipien scheinen den Colorgestalter der Züge zu regieren. Erstens: Jede Farbe muß in sich schon richtig scheiße aussehen: Schlüpferblau, Lungendurchschußrot oder Schimmelgrün sind da die Favoriten. Und zweitens: Das Farbkonzept muß so oft geändert werden, daß kein Wagen zum andern paßt geschweige denn zur knallroten Spielzeuglok. Endziel ist der komplette Zug als unaufgeräumter Tuschkasten. Das ist fast erreicht, also kann man sich dem Bahnsteig zuwenden.

Wo früher der Fahrplan in der schlichten Glasvitrine seine knallharten Infos rüberbrachte, steht nun ein überlebensgroßer Alleinerziehender aus Eisen mit Zettel im Bauch. Hahaha, ist ja auch viel lustiger, hat sozusagen mehr Fun. Warum da nicht gleich einen Plastiksaurier auf den Perron gestellt. Und wenn man wissen will, wann der Zug fährt, glotzt man dem Iguanodon ins Arschloch rein. Das ist doch noch lustiger und eventmäßiger, oder nicht, liebe Bahn AG?

Als Krönung der ganzen Retusche werden schlußendlich die Bahnhöfe selbst ins Ballaballa-Design überführt. Aus den Kathedralen der Technik sollen Zug um Zug so eine Art Pennymärkte mit Gleisanschluß werden. Ist das erst erreicht, kommt die Bahn noch unpünktlicher, um die Verweildauer im Shoppingcenter zu erhöhen. Und irgendwann fährt gar kein Zug mehr ab vom Bahnhof und niemandem fällt es auf.

Gefunden in: de.alt.fan.fruehstyxradio

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Autor: Uli M@schek, letzte Änderung am 17.08.1999