Mit dem Ferkel nach Weferlingen

13.12.1998

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Was macht man, wenn man einen Sonntagnachmittag zur Verfügung hat und in der Nähe eine gefährdete Nebenbahn existiert? Richtig: Man befährt sie; mit dem neuen Hopperticket ist dies auch preiswert möglich. Vielleicht kann ich die Zahl der Reisenden wieder um das Unendliche steigern - auf der Hinfahrt soll mir das gelingen. 

Das Abenteuer beginnt im ReiseZentrum: Auf die Frage nach einem günstigen Angebot von Magdeburg nach Weferlingen weiß die ReiseBeraterin nur den regulären Fahrpreis zu nennen. Ich bringe das Hopperticket ins Spiel. Dass Weferlingen weiter als 50 Tarifkilometer entfernt ist, wie mir versichert wird, weiß ich bereits und kontere mit dem Verlangen eines Hoppertickets nach Hörsingen. Das liegt 47 Tarifkilometer entfernt und schon liegt ein solcher Fahrausweis vor mir. 

"Und nun noch einmal Hörsingen - Weferlingen, hin und zurück, mit Bahncard." 

"Anschlußverbindungen darf ich ihnen nicht verkaufen!" 

Ich stelle keine weiteren Fragen und wende mich an einen anderen Schalter, an dem man mir problemlos den gewünschten Fahrschein ausstellt. (Wie macht man das an einem Bahnhof, der nur einen Fahrkartenschalter hat?) 

"Irgendwelche Zuschläge?" fragt die ReiseBeraterin. Ich verneine, grübele aber immer noch, welchen Zuschlag sie mir verkaufen wollte. Erlebniszuschlag? Bummelzuschlag? Für die langsamste Regionalbahn der Welt? 

*** 

Der Weg von Haldensleben nach Haldensleben West ist wirklich eine Zumutung, zumal bei diesem Mistwetter! Ich werde mir den Gleisplan von Haldensleben besorgen, um zu sehen, ob man das nicht anders lösen könnte. Obwohl - demnächst bleibt den Reisenden ja dieser Weg erspart, wenn der Personenverkehr eingestellt wird. 

Nach wenigen Minuten des Wartens auf einem Bahnsteig ohne jede Unterstellmöglichkeit, rollt meine Ferkeltaxe heran. Pünktlich geht es los. 

Die erste Überraschung, die mir begegnet, ist die besetzte Abzweigstelle Süplingen mit deckenden Hauptsignalen. In Richtung Bebertal existiert noch nennenswerter Güterverkehr. Die technische Sicherung des davor liegenden Bahnübergangs wird durch eine eigens dafür zuständige Person überwacht. Diese muss sich per Augenschein davon überzeugen, dass die Straßensignale tatsächlich blinken - die technische Anlage wird nicht mehr für sicher gehalten und soll demnächst ersetzt werden. 

Plötzlich hält der Triebwagen auf freier Strecke, der Zugführer steigt aus und schlüsselt einen BÜ unwirksam. Ich frage mich, warum er das tut und harre der Dinge, die sein Tun erklären. Kurz darauf sind wir in Altenhausen. Wieder springt der Zugführer heraus, das Ferkel fährt über die Eingangsweiche bis zum Ra 10 und hält an. Das bringt Licht ins Dunkel: Eine Zugkreuzung steht bevor! Nach dem Umlegen der Weiche fährt der Triebwagen ins Überholungsgleis. "Kannst kommen!" wird über Zugfunk bekanntgegeben und nach einiger Zeit trifft der Gegenzug ein. 

Wie fast alle Empfangsgebäude an der Strecke macht auch dieses einen traurigen Eindruck. Vernagelte Fenster, ein undichtes Dach und gut erhaltener Putz kennzeichnen das EG in Altenhausen. An der Tür flattert ein Zettel: 

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Zu verkaufen 

Obwohl es in Bischofswald nur wenige Häuser gibt, baute die damalige Bahngesellschaft ein Empfangsgebäude. Dies ist eines der wenigen, die heute noch bewohnt sind. Kein Wunder - so idyllisch im Wald gelegen hätte ich auch gern ein Häuschen... 

Kurz darauf liegt ein totes Wildschwein im Gleis. Vorsicht beim Überschreiten der Gleise!! Für das Schwein kommt der Hinweis zu spät. 

Nach einer Stunde haben wir bereits 24 Kilometer hinter uns gebracht. Das verwundert, besteht doch die Strecke größtenteils aus ständigen Langsamfahrstellen von 10, 20 und 30 km/h. Nur kurze Abschnitte können wir mit der Streckenhöchstgeschwindigkeit von 50 km/h befahren. Nur eine vorübergehende La von 10 km/h konnte ich entdecken. Da wir gerade bei der Infrastruktur sind: Es gibt erstaunlich viele EBÜT 80 Anlagen und etwa ebenso viele Anschließer. Das bringt mich zu der Annahme, dass nach Einstellung des Personenverkehrs die Strecke selbst sicher nicht stillgelegt wird. 

Den Haltepunkt Walbeck durchfahren wir bereits 5 Minuten zu früh; doch wie mir scheint, sind hier seit mehreren Vegetationsperioden keine Reisenden mehr ein- oder ausgestiegen. Später erfahre ich aber, dass hier jeden Werktag zwei Pendler ein- und aussteigen. 

In Weferlingen Zuckerfabrik sind es bereits -10 und ebenso früh erreichen wir den Endpunkt Weferlingen. Die Bahnhofsgaststätte (mit korrektem Piktogramm gekennzeichnet!) ist noch in Betrieb. Die Klientel des Wirts scheint sich aber weniger aus den Kunden der Deutschen Bahn zu rekrutieren. 

Ich schaue mich nur kurz auf dem Bahnhof um und flüchte in das Wägelchen zurück, denn es regnet und stürmt. Seidem Tf und Zf im Fahrgastraum sitzen, wird es richtig warm. Warum erst jetzt? Vermutlich ist die Heizung nicht regelbar und kennt nur die Stellungen "Aus", "Zu warm" und "Defekt". 

Die Abfahrtszeit ist heran. Aber nichts tut sich. Der Zugführer beschwichtigt und tatsächlich sollen wir nach wenigen Stationen unsere Verspätung von +10 wieder aufgeholt haben. Wer macht eigentlich solche Fahrpläne? Naja, vielleicht gab es zu Beginn der Fahrplanperiode noch mehr vorübergehende Langsamfahrstellen. 

In Weferlingen Zuckerfabrik (wem gehören eigentlich die vielen Fahrzeuge, die hier herumstehen?) ist es dann mit meiner Alleinherrschaft als König Kunde vorbei. Zwei echte Reisende, die aufgrund eines Transportbedürfnisses fahren, steigen ein! Sie müssen schon arm dran sein, dass sie die 1:14 h für 31 Kilometer in Kauf nehmen. Doch im Laufe der Fahrt sollen noch zwei weitere Fahrgäste zusteigen. 

Kreuzung in Altenhausen. Im Triebwagen der Gegenrichtung zähle ich acht Reisende. Für einen Sonntagnachmittag eine gute Zahl. 

*** 

Fazit: Laßt den Personenverkehr auf dieser Strecke nicht sterben! Nach meiner anfänglichen Skepsis mußte ich sehen, dass ein Potential vorhanden ist. Nicht alle, aber viele Stationen liegen in der Nähe größerer Siedlungen. 

Hebt die Streckengeschwindigkeit auf durchgehend 50 km/h, besser noch 80 km/h! Ca. 1,5 Stunden für 32 km sind wirklich nicht attraktiv. 

Baut in Altenhausen Rückfallweichen ein und verzichtet auf den Zugführer! All das wird zur wirtschaftlichen Verbesserung beitragen.

Wegen des Güterverkehrs wird die Strecke ohnehin bestehen bleiben. Warum sollte eigentlich nicht eine der ansässigen Werkbahnen die Strecke übernehmen und Personenverkehr betreiben? War ja nur eine Idee.


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Autor: Uli M@schek, letzte Änderung am 27.12.1998