Durch den Fläming

01.08.1998

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Schon immer wollte ich die Strecke Jerichow - Genthin und Brandenburg - Belzig befahren. Und gibt es da nicht seit dieser Fahrplanperiode den RB Belzig - Güterglück - Magdeburg? Und von Tangermünde kann man doch jetzt mit dem SWT einen Bus nach Jerichow benutzen! Damit stand meine Route fest: 

Magdeburg - Stendal - Tangermünde - Jerichow - Genthin - Brandenburg - Belzig - Güterglück - Schönebeck - Magdeburg. 

ALMA fährt heute nicht

10.35 Uhr. Nach einer unspektakulären Herfahrt beginnt das Abenteuer in Stendal. Zunächst eine Enttäuschung: ALMA, der neue Triebwagen, fährt heute nicht. Stattdessen ein Pfefferminzbonbon (Ferkeltaxe in Regionalverkehrsfarbe). Aber warum nicht. ALMA wird man sicherlich noch länger sehen. 

10.57 Uhr. Nun geht es los. Das Ausfahrsignal zeigt "Fahrt mit Höchstgeschwindigkeit" und wie zum Hohn steht davor ein Lf 4 mit "30". Es ist dann auch ein ganz schönes Geruckel über die Weichen. Der kurze Zweiachser schüttelt einen ordentlich durch. 

Hoppla! Das war aber knapp: Ein Lkw steht auf einem technisch nicht gesicherten BÜ und kann nicht auf die Hauptstraße abbiegen. Doch dank intensivem Zp 1 gelingt es, ihn vom BÜ zu vertreiben. 

Die Zugangsstellen scheinen wenig frequentiert zu sein: Alle 9 Reisende fahren bis Tangermünde durch. 

Das Einfahrsignal von Tangermünde ist durchgekreuzt. Dafür hat man eine Trapeztafel aufgestellt. 

Die Zimmerpflanzen harmonieren gut mit der Hebelbank

Tangermünde. Überraschung: Der Bahnhof ist besetzt, denn eine mechanische Vollschranke ist zu bedienen. Das EG sieht gut aus, ist äußerlich restauriert. Auch der Güterschuppen wird genutzt: Als "Trödelhof". Die Gleise indes haben der Kraft der Natur nichts entgegenzusetzen. Unkraut wuchert, wohin man sieht. 

Ein Blick in das im EG gelegene Stellwerk verrät schnell: Hier dreht sich nichts mehr. Doch die Zimmerpflanzen harmonieren gut mit der grünen Hebelbank. 

Bahnhofsvorplatz. Hier muß doch irgendwo der Bus nach Jerichow abfahren. Aber das Studium der ausgehängten Pläne ergibt nichts. Da kommt ein Bus; der Fahrer dreht sein Pappschild und ich weiß: Das ist mein Bus. Irgendein uraltes Ding, für den Nahverkehr gerade noch ausreichend, aber kein Aushängeschild. 

11.35 Uhr. Planmäßig komme ich auf dem Bf Jerichow an. Leider ist die Ferkeltaxe nach Genthin vor 10 Minuten planmäßig abgefahren. Das nenne ich Just-In-Time. So muß ich dann doch über Güsen fahren, obwohl ich diese Strecke schon kenne. 

Bf Jerichow macht einen ordentlichen Eindruck

Der Bahnhof macht einen ordentlichen Eindruck. Auch Güterverkehr scheint hier noch zu existieren. Auf der Ladestraße liegen mehrere Kohlenhaufen. Doch leider muß ich daran denken, daß mit der Umstellung auf andere Energieträger auch dieser rudimentäre Güterverkehr verschwinden wird. 

Wie durch eine unsichtbare Kraft fühle ich mich zum ehemaligen Bahnbetriebswerk hingezogen. Die Einfriedung ist hübsch: Kleine Dampf- und Dieselloks zieren das kunstgeschmiedete Geländer. Ein Schild: 

    Deutsche Bahn AG
    Geschäftsbereich Traktion 
    Betriebshof Stendal 
    Einsatzstelle.
(Nanu, ich dachte den GB Traktion gibt es nicht mehr?) 

Das Bw ist ein großer Komplex, hier muß früher mal ordentlich was los gewesen sein. Heute dient er nur noch zum Abstellen und zur Betankung von Ferkeltaxen; und so treffe ich auch auf zwei Blutblasen und ein Pfefferminzbonbon. 

Der größte Teil aller Gebäude ist heute ungenutzt. Ich entdecke ein altes Schild: Betriebsfremden ist das Betreten folgender Räume gestattet: Verwaltungsräume, Meisterbüro Tfz-Unterhaltung, Meisterbüro technische Anlagen. 

Mit dem Dienstwagen zur Pause

Ein Typhon schreckt mich aus meinen Träumereien in die Vergangenheit. Meine Ferkeltaxe aus Güsen ist bereits eingefahren. Der Triebwagen fährt auf dem Hauptgleis in Richtung Bw. Klare Sache: Hier wird mit dem "Dienstwagen" zur Pause gefahren. 

Interessant die Sicherungstechnik: Die meisen Weichen sind handbedient, viele davon mechanisch fernbedient geriegelt. Die Bestandsaufnahme im mechanischen Stellwerk ergibt dann an fernbedienbaren Elementen: 

    3 Einfahrsignale 
    1 Hohes Sperrsignal 
    6 Weichen 
    4 Riegel 
    1 Gleissperre
12.00 Uhr. Nun fährt der Triebwagen an den Bahnsteig zurück. Im Zug liegt ein alter ZLB-Befehl. Es steht geschrieben, daß in Ferchland und Parey die Meldungen entfallen. Unterzeichnet ist er vom Zugleiter Jerichow. 

Das EG von Ferchland ist bewohnt

Ferchland. Hier gibt es ein Anschlußgleis, welches offensichtlich noch befahren wird. Beim Anschließer stehen rote DB Cargo Güterwagen. Das Zugpersonal macht Meldung beim Zugleiter. Mit den Bewohnern des EG ist man auf Du und Du. Schön, dass es noch bewohnte Empfangsgebäude gibt, zumal der Ort - wie so oft - etwas weiter entfernt liegt. 

Güsen. Kurz nach der Einfahrt kommt auch die Ferkeltaxe aus Ziesar (Zi-esar!). Ich habe nicht viel Zeit, denn mein RE kommt in drei Minuten. Da ist er auch schon: ein RE 160. Die Klimatisierung ist angenehm, die Innenausstattung edel, fast schon zu gut für den Nahverkehr. Aber ist das hier noch Nahverkehr? Ich kann mir gut vorstellen, daß er dem IR ganz gehörige Konkurrenz macht; und so ist er auch zu über 100 Prozent besetzt. 

Brandenburg Hbf. Meine Ferkeltaxe nach Belzig steht schon bereit. In unmittelbarer Nachbarschaft tut es ihr ein 628 nach Rathenow gleich. 

Und wieder ein Schild, diesmal eins der kuriosen, die die Bahnreform hervorgebracht hat: 

    Deutsche Bahn AG 
    Geschäftsbereich Netz 
    Niederlassung Südost 
    Betriebsstandort Magdeburg 
    Netzbezirk Brandenburg 
    Bereich: Fahrbahn.
Früher hätte da wohl einfach "Bm Brandenburg" gestanden... 

Los geht es. Größtenteils ist die Strecke schnurgerade. 

Golzow. Hier scheint der verkehrsreichste Punkt der Strecke zu sein. Fünf Reisende steigen aus, einer steigt zu. Die größte Überraschung: Hier tut noch ein Rotkäppchen Dienst, welches mit dem Befehlsstab das Abfahrtssignal gibt!!! Ich dachte, so etwas wäre inzwischen abgeschafft. Doch ebenso sehe ich überall noch Kreuztafeln, die ja eigentlich durch Vorsignaltafeln substituiert worden sind. 

Aus mir nicht bekannten Gründen fahren wir über das Überholungsgleis. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/h und das ist gut so, denn ich bekomme den Eindruck, als ob hier jemand beweisen wollte, dass man jeden Bogen durch eine genügend große Anzahl von Geraden annähern kann... 

Dicke Luft in Belzig

Belzig. Im Bahnhof stehen offensichtlich einige Museumsfahrzeuge. Ein DR-110er mit 110er Schild. Eine DR-106 und zwei Köf. Ich treffe die Eisenbahnfreunde, die gerade einen ihrer dreiachsigen Reko-Wagen ("Genickschußwagen") streichen. Ich erfahre, daß heute im Bahnhof dicke Luft herrscht. Eine 140 von DB Cargo hat Trafoöl verloren. Die Feuerwehr ist vor Ort, das Gleis gesperrt. Während ich auf die Abfahrt meines Zuges warte, beobachte ich, wie eine Köf die Unglückslok abschleppt. 

Die Ludmilla meines Zuges muß noch umsetzen und bald darauf geht es los. Schon nach 10 Minuten hat der Zug Wiesenburg erreicht. Auf der Karte sieht das viel länger aus! Es geht weiter auf der Strecke, die einstmals dem ICE-Verkehr nach Berlin diente. Der Zug macht ganz schön Tempo. 

Der Zug hat 17 Minuten Aufenthalt

Güterglück. Im oberen Bahnhof steht ein Güterzug, bespannt mit einem Holzroller. Tatsächlich gibt es ein paar Anschlußreisende, die hier umsteigen. Anschlüsse in Richtung Dessau und Magdeburg sind gewährleistet. Der Zug hat 17 Minuten Aufenthalt die ich für einen Rundgang über den Bahnhof nutze. Die Suche nach einem ausgehängten Fahrplan bleibt erfolglos. Auch sonst machen die Reiseverkehrsanlagen einen trostlosen Eindruck. Was ich bisher nicht wußte: Es gab eine Treppe vom oberen Bahnsteig in das Empfangsgebäude hinein. Heute ist selbstverständlich alles geschlossen. 

Der Zug fährt ab. Ganz deutlich ist das zweite Planum zu erkennen, auf dem sich inzwischen eine Population von Telegrafenmasten und Signalen ausgebreitet hat. 

Nanu, was ist dann das? Kreuzung in Barby mit einem IR? Der IR Wernigerode - Berlin kann das nicht sein: Der kommt erst gegen 20 Uhr hier vorbei. 

Reger Fahrgastwechsel in Barby, soll heißen, drei Fahrgäste steigen ein, drei steigen aus. Aber wenn ich mir den bisherigen Fahrtverlauf ansehe, ist das bei durchschnittlich 8 Reisenden im Zug viel. 

In Schönebeck schließlich findet kein Fahrgastwechsel statt und der Zug fährt durch bis Magdeburg Hbf. 

In Magdeburg schaue ich auf den Fahrplan um zu sehen, wann ich angekommen, wenn ich in Güterglück umgestiegen wäre. 17 Minuten! Das ist genau die Zeit, die der Zug in Güterglück herumgestanden hat. Eine Umsteigebeziehung in den RE nach Magdeburg halte ich für sinnlos, da der Zug ohnehin nach Magdeburg fährt. Enge Fahrplantrassen Belzig - Güterglück kann ich mir auf der obendrein zweigleisigen Strecke nicht vorstellen. Zur Reisezeitverkürzung wäre es sicherlich angebracht, in Belzig etwas später abzufahren. 

Mit diesen Gedanken beende ich meine Expedition auf Schienen. Zwar bin ich immer noch nicht Jerichow - Genthin gefahren, aber somit habe ich wenigstens einen Grund, abermals auf Tour zu gehen. 


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Autor: Uli M@schek, letzte Änderung am 27.12.1998