Mit einem Nachtzug nach Paris

20.05.2001

Vorherige SeiteInhaltsverzeichnisHome

Frankfurt (Main) Hbf. Noch sind die Türen der Schlafwagen verschlossen.
So nutze ich die Gelegenheit, etwas an der bunten Wagenschlange
entlangzubummeln. Der D-Zug besteht nur aus Kurswagen: Zwei Teile fahren nach Italien, ein Teil nach Paris. Durch die Fenster kann ich die
Inneneinrichtung erkennen. Der frische Lack der Außenhülle vermag aber
nicht das altbackene Interieur zu übertünchen.

Nun ist auch der französische Schlafwagenschaffner zugegen. Er kann kein
Deutsch, aber Englisch tut's auch. Boarding! Er geleitet mich in mein
Abteil. In diesem sind die Betten oben (in den benachbarten Abteilen
unten). Eng ist es, aber das haben Schlafwagenabteile so an sich. Den
ganzen Tag schien die Sonne auf den Wagen. Das weiß man spätestens,
nachdem man im Wagen ist. Wie bekommt man das Fenster auf? Ein massive Kurbel, die aussieht, als sei sie aus einem Stück gefeilt, weist den Weg zur frischen Bahnhofsluft.

Ich schaue mich etwas um. Klappt man den kleinen Tisch nach oben, so
bietet ein Waschbecken seine Dienste an. "Kein Trinkwasser" ruft es
einem entgegen. Eine Klappe unter dem Waschbecken zieht meine
Aufmerksamkeit an. Was ist das? Ein Nachttopf! Herzallerliebst. Ja,
diese Franzosen haben Sinn für's Detail ...

Inzwischen ist auch der Fahrgast des zweiten Bettes eingetroffen.
"Bonjour!" Zum Glück kann er Deutsch, meine Französischkenntnisse sind
nahe Null.

Ich erklimme meine Koje. Muss ich erwähnen, dass warme Luft nach oben
steigt? Ich mache es mir auf dem Bett gemütlich. Dabei fällt mir Thomas
Mann ein, der in "Das Eisenbahnunglück" schrieb: "Ich reise gern,
besonders, wenn man es mir bezahlt." Er reiste damals von München nach
Dresden, was heute wohl keine Schlafwagenfahrt mehr rechtfertigen wird.

Das Licht ist launisch. Alle paar Minuten geht es aus - um später wieder
anzugehen. Erst nachdem der Zug fährt stabilisiert sich die Lage.

Der Schlafwagenschaffner, der sich vorhin überhaupt nicht für meinen
Fahrschein interessiert hat, kommt herein und sammelt selbige ein.
Außerdem möchte er ein Personaldokument haben. Nanu? Ich dachte, Europa kennt keine Grenzen mehr? (Auf der Rückfahrt hat sich übrigens keiner dafür interessiert.) Ich bestelle noch ein Frühstück für den nächsten
Morgen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es wird mit einem
kleinen Croissant, einem winzigen Stück Kuchen, Butter, Marmelade und
Kaffee nicht sehr üppig ausfallen, dafür aber umso teurer sein. Was
soll's, dafür geht es nach Paris!

Wie mein französicher Begleiter lese ich noch etwas. Als der Zug
zwischendurch anhält verlischt abermals das Licht. Nun ist es
stockduster. "Jetzt muss geschlaffen werrden." tönt es vom anderen Bett.
Nun ja, dann legen wir den Artikel zur Seite und versuchen zu schlafen.
Hatte ich schon erwähnt, dass die Wagen nicht klimatisiert sind? Noch
hat sich nämlich nichts an den Innentemperaturen geändert.

Der Zug rauscht durch die kalte Nacht. Ist man abends schweißgebadet
eingeschlafen, so wacht man morgens zähneklappernd auf. (Der EuroNight
auf der Rückfahrt wird zwar klimatisiert sein, dennoch wird es im
obersten Bett die gleichen Effekte zu beobachten geben.)

Der Schlafwagenschaffner serviert das Frühstück, während der Zug durch
die Vororte von Paris eilt. Nur noch wenige Kilometer und wir fahren in
die Hallen des Gare de l'Est ein. Die eilenden Massen, denen man sich
tunlichst nicht in den Weg stellen sollte, geben eine Vorgeschmack von
der pulsierenden Metropole. Guten Morgen Paris!


Vorherige SeiteSeitenanfangInhaltsverzeichnisHome

Autor: Uli M@schek, letzte Änderung am 04.06.2001