Balkondetail


Rietveld Schröder Haus und Rot-Blauer Lehnstuhl

Konstruktion und Gestaltung

Materialien und Bauelemente

Die Form des Hauses wurde von innen heraus entwickelt, ausgehend von einem Kubus. Dann perfektionierte Rietveld die äußere Erscheinung nach den De Stijl Prinzipien, ohne überflüssige, nur als Schmuck dienende, Bauteile zu verwenden. Eine Neuheit im Wohnungsbau waren die Eisenträger, welche als Stützen für die angesetzten Balkonscheiben aus Sichtbeton dienen. Sie wurden formal als farbige, vertikale Linien bewusst eingesetzt und haben eine konkrete statische Funktion. Bei einer Deckenkonstruktion aus Stahlbeton hätten die Balkone auskragen können, so daß keine Stützen benötigt würden. Die Eisenträger wären dann reine Schmuckelemente und müßten konsequenterweise weggelassen werden. So jedoch war die traditionelle Deckenkonstruktion und der gestalterische, sowie konstruktive, Einsatz der Balkonstützen gerechtfertigt. Die Stützen wurden nicht an den Ecken der Balkonplatte angebracht, sondern ohne bündigen Abschluß nach hinten versetzt. Ähnlich wie beim Rot-Blauen Lehnstuhl wurden damit die Bauteile so verschränkt, daß kein klar abgegrenzter statischer Raum entsteht und so eine sehr dynamische Wirkung erzielt wird.

Das Gebäude ist sehr traditionell konstruiert, hier wurden Ziegelmauerwerk und Holzbalkendecken verwendet. Die Wände sind vollständig verputzt und lassen den Eindruck von homogenen Scheiben entstehen. Sie sind in weiß oder einem der vier eingesetzten Grautöne gehalten. Für Rietveld war der geschaffene Raum viel wichtiger als das Material, welches ihn definiert: Raum ist für ihn das Material der Architektur.


"The reality, which architecture can create, is space."
( Rietveld, 1928, in Brown, Seite 44 )

Viel wichtiger als das Material war der Einsatz von Farbe, um Flächen voneinander zu lösen, Räume abzugrenzen oder ineinander fließen zu lassen. Rietveld sah die Möglichkeit, Stahlbeton einzusetzen, fand ihn für dieses Bauvorhaben jedoch unnötig teuer. Außerdem hatte er noch keine Erfahrung mit Stahlbeton im Innenraum, er äußerte Bedenken wegen der möglichen Kondensationsprobleme. Eines seiner Grundprinzipien war, mit minimalem Aufwand einen maximalen Effekt zu erzielen. Hierbei wurde zuerst die Form entwickelt und die gewünschte Raumwirkung festgestellt, dann suchte er nach dem billigsten Material und der geläufigsten Konstruktion zur Verwirklichung. So entwarf er nicht nur Architektur, sondern auch seine Möbel, z.B. den Rot-Blauen Lehnstuhl.


"Konstruktion und Form, also Technik und Ästhetik, sind in einem Minimum an sichtbarem schöpferischen Aufwand gleichgesetzt, wodurch trotz des komplizierten Systems ein scheinbar einfacher Eindruck erreicht wird."
( Warncke, Seite 124 )

Ähnlich sind die verschiebbaren Wände im Obergeschoss entstanden. Diese sollten leicht genug sein, um von Frau Schroeder-Schräder und den Kindern problemlos bewegt werden zu können, andererseits mussten sie sehr stabil sein, um als raumhohe Trennwände zwischen zwei Räumen zu dienen. Hier kam eine Sandwichplattenkonstruktion mit einer Füllung aus Kork und Asphalt zum Einsatz. Sie werden mit farbigen L-Profilen an der Decke und Führungsschienen im Boden gehalten.

Die Beheizung des Gebäudes erfolgte mittels offener, umlaufender Heizungsrohre, wie sie in Industriebauten üblich waren.



 
 
Ansicht von der Prins Hendrik Laan


Eckfenster im Obergeschoß

Fassaden

Durch die Flächenaufteilung in den Ansichten ergeben sich Pendantbeziehungen ohne symmetrische Entsprechungen. Rietveld erreicht diese durch den Gegensatz von Großflächigkeit und Kleinteiligkeit. In der Ansicht von der Prins Hendriklaan werden links die Tür- und Fensteröffnungen einer großen, weißen Wandfläche auf der rechten Seite kompositorisch gegenübergestellt. (Warncke, S. 135)

Obwohl das Haus eindeutig nach Süd-Osten orientiert ist, gibt es keine über- und untergeordneten Fassaden. Durch die kombinierte Anordnung von offenen und geschlossenen Teilen wird die Baumasse optisch so weit reduziert, dass sie sich in Flächen und Linien auflöst. Die visuelle Unabhängigkeit der vielen Einzelelemente wird durch Trennung, Überschneidung und farbliche Abgrenzung erreicht.

Der Außenraum wird nicht am Baukörper unterbrochen, er scheint über die offenen Flächen durch die Fassade in das Gebäude zu fließen.


"Two major aesthetic conditions result from the relatively flexible assemblage of parts; exterior space is fused with the interior; and the mass of the building is minimized."
( Brown, Seite 44 )

Das Detail des Eckfensters im oberen Geschoß unterstützt diesen Eindruck. Wenn es geöffnet ist, verschwindet die Gebäudeecke vollständig und der Innen- und Außenraum fließen ineinander. Alle Fensterrahmen sind in schwarz gehalten, weil von außen bei Tageslicht das Glas der Fenster auch schwarz aussieht und so Glas und Rahmen optisch zu einer Fläche verschmelzen. Sie geben dem Betrachter die Illusion, daß sich die vertikalen Glasflächen mit den horizontalen Dach- und Balkonflächen verschneiden. ( Brown, Seite 42).

Die Stützen und Tragbalken setzen sowohl innen als auch außen horizontale und vertikale lineare Akzente in Rot, Gelb, Schwarz, Grau und Weiß.



 
 
Eckfenster im Obergeschoß


Süd-Ost Fassade, Eingangsseite


Grundriss Obergeschoss, offen


Grundriss Obergeschoss mit abgeteilten Räumen


Obergeschoss, Blick nach Südosten

Grundrisse und Raumbeziehungen

Der Haupteingang des Gebäudes ist zur Laan van Minsweerd ausgerichtet, beim Entwurf ging Rietveld davon aus, dass diese Strasse erweitert wird. Die Eingangstür ist eine geteilte, nicht profilierte Holztür. Sie ist schwarz lackiert und ähnlich wie die Türen in traditionellen holländischen Häusern gestaltet.

Das Erdgeschoss besteht aus unterschiedlich großen, durch fest eingebaute Wände voneinander abgetrennten Volumen, welche sich um den exzentrisch angeordneten Kamin gruppieren. Nach dem Eingangsbereich folgt ein kleiner Flur, der als Verteiler dient. Hier befindet sich auch die Treppe ins Obergeschoss. Links davon befindet sich ein Lese- und Studierzimmer. Geradezu kommt man in ein Atelier. Hier war ursprünglich eine Garage geplant. Darauf folgt ein vom Atelier abtrennbarer Funktionsraum mit Durchgang zum Schlafzimmer. Rechts des kleinen Flures befindet sich die Küche.

Im Obergeschoss sind zwar auch konkrete Funktionen in Bereichen untergebracht, allerdings mit vorläufigem Charakter. Hier ist es möglich, das Mädchenzimmer über dem Atelier abzutrennen, über dem Studierzimmer das Jungenschlafzimmer, über der Küche das Wohnzimmer und über dem Funktionsraum und der hinteren Kammer den Schlafraum der Mutter und ihr Bad. Alle Wände und viele Möbelstücke können so weggeklappt werden, dass im Obergeschoss ein großer Raum entsteht, der nur von den Außenwänden des Hauses begrenzt wird. Alle Fenster sind nach außen öffnend, damit der Innenraum nicht beeinträchtigt wird. Rietveld verwirklichte damit erstmals den von Theo van Doesburg und Cornelius van Eesteren programmatisch geforderten flexiblen Grundriss. Er war sich durchaus seines revolutionären Entwurfes bewusst. Das Obergeschoss wurde in den Plänen für die Baubehörde als Dachboden ausgewiesen, weil Rietveld befürchtete, das die Ausführung aus Brandschutzgründen nicht genehmigt werden könnte.

Das Treppenhaus kann offen gelassen oder mit Glasschiebewänden zu einem Schacht geschlossen werden. Es verbindet die untere Ebene mit der oberen Ebene und diese über das Oberlicht mit dem Außenraum. Selbst wenn der Raum ganz geöffnet ist, wird er durch die Möbel, die verschiedenfarbigen Schienen an der Decke und den in schwarze, weiße und rote Flächen aufgeteilten Fußboden subtil in einzelne Bereiche gegliedert, ohne seine Offenheit zu verlieren.

Auch dann ergeben sich differenzierte Raumwirkungen. Die südöstliche Seite ist eindeutig horizontal ausgerichtet. Verstärkt wird diese Wirkung durch die auskragende Dachfläche, welche den Raum unendlich in Richtung Landschaft verlängert. Im Südwesten wird der Raum durch ein Raster aus roten und blauen Pfosten und Riegeln klar begrenzt. Die starken Farben bilden eine visuelle Sperre zwischen Innen und Außen. Wände und Decken sind farblich getrennt, so wird der Eindruck einer festen Box vermieden und es entstehen fließende Räume. (engl. S.12) Beispielhaft hierfür ist das Studierzimmer links neben dem Eingangsbereich. Die dunkel gestaltete Decke und der Fußboden begrenzen den Raum eindeutig in vertikaler Richtung, die hellen Wände gehen nahtlos in die Wände der benachbarten Räume über und lassen den Raum in horizontaler Richtung fließen.





 
Martin Sommer, 4. Nov. 2002 < Idee und Vorentwurf ^ > Einordnung in die Zeit der Moderne