Ciné-Dancing (Ciné-Bal) nach der Rekonstruktion von 1994

Raumwirkung

Die Aubette repräsentiert die internationale Spätphase der De Stijl-Bewegung. Die Räume sind nicht einheitlich gestaltet. Daran sind die unterschiedlichen Auffassungen der beteiligten Künstler von den De Stijl-Prinzipien ablesbar. Die Grundsätze von De Stijl sind als eine Vorgabe des Gestaltungsrahmens anzusehen. Die dynamische Raumkomposition verbindet die verschiedenen Einrichtungen und wird durch das wandelnde Publikum belebt und vervollkommnet.

Bei der Raumgestaltung wurden die künstlichen Materialien Beton, Eisen und Glas den natürlichen Materialien Holz und Stein bevorzugt. Beim Einsatz natürlicher Materialien, wie z. B. bei Stühlen, wurden diese durch Farbe überdeckt. Die durch den Denkmalschutz der Fassade zu erhaltenden raumhohen Fenster wurden zu einem wichtigen Bestandteil im differenzierten Beleuchtungskonzept: Teilweise sind die Räume indirekt beleuchtet (Café-Brasserie, Restaurant, Ciné-Dancing), teiweise direkt (salles de fêtes, salon de thé). Im großen Festsaal sorgten Emailplatten hinter den Lampen für eine Streuung des Lichts. In anderen Räumen wurden metallische Reflektoren aus Aluminium und Nickel verwendet. Die Mischung aus Tageslicht und gedämpften Kunstlicht läßt kaum Schatten entstehen und sorgt so für eine verstärkte Raumwirkung.

 
  Der kleine Saal ist noch orthogonal gestaltet und erinnert noch stark an die neoplastische Farbkomposition. Das Ciné-Dancing ist bestimmt von der Diagonale und elementaristisch gestaltet, die orthogonale Raumstruktur wurde weitgehend aufgelöst. [Villa Stuck, Seite 96]

 
  Raumwirkung Ciné-Dancing

Nach Theo van Doesburg strebt Fläche nach räumlicher Wirkung und Raum nach zeitlicher Wirkung. Die Komposition setzt sich nicht von Fläche zu Fläche fort, sondern bildet Kontraste. Beim Besucher ergibt sich das räumliche Erlebnis durch die sich ständig in Farbe und Form verändernde Umgebung. Theo van Doesburg ging davon aus, daß der Raum nicht mehr als Ganzes erfaßt werden sollte.

Die Schrägstellung der Rechtecke bewirkt eine Veränderung der Wahrnehmung im Vergleich zum Neoplastizismus: Zum einen wird durch das bestimmende Element der Diagonale die Form des Rechtecks unwichtiger, am Rand sogar gänzlich aufgelöst. Andererseits tritt die Wirkung der Farben als solche, und damit auch die Farbdissonanzen [siehe ], in den Vordergrund. In der Aubette sind einige Wandflächen aufgrund ihrer Größe nicht als ganzes warnehmbar. Auf keinen Fall aber ist es dem Betrachter möglich, die Komposition insgesamt zu erfassen, sie ist nur als zeitliche Abfolge farblicher Differenzen warnehmbar. [Clara Weyergraf] Während im Rietveld-Schroeder der Raums durch Farben definiert wird, werden die Farben Ciné-Dancing dazu benutzt, den Raum aufzulösen.

 
  Geschichte der De Stijl Innenarchitektur

Das Erlebnis einer dreidimensionalen Architektur, die durch zweidimensionale Flächen und die vierdimensionale Raum-Zeit markiert wird, war dem damaligen Publikum zu abstrakt [Philipp Meuser in: Bauwelt,Heft 18/19 1996, Seite 1055].

Theo van Doesburg schreibt über die die Gestaltung ablehnende Bevölkerung:
"Die Aubette in Straßburg hat mich gelehrt, daß die Zeit noch nicht reif ist für ein «Gesamtkunstwerk». [...] sobald die Eigentümer auf das Urteil des Publikums eingingen [...], wurde alles entfernt, was nicht genehm war. Das Publikum kann seine «braune» Welt nicht vergessen und wehrt sich hartnäckig gegen die neue «weiße» Welt. Das Publikum will in der Scheiße leben und muß in der Scheiße sterben."
Theo van Doesburg in einem Brief an Adolf Behne, 7. 11. 1928, in: Fanelli, Seite 104

Nach einem Besitzerwechsel im Jahr 1938 wurde die Einrichtung der Aubette entfernt und die Wandgestaltung größtenteils überdeckt.



 
  Rekonstruktion

Die Aubette wurde 1985 vollständig unter Denkmalschutz ("historisches Monument") gestellt. 1994 erfolgte in einem ersten Bauabschnitt die Rekonstruktion des Ciné-Bal (Ciné-Dancing) durch den Architekten Daniel Gaymard. Die Wandreliefs wurden beim Umbau 1938 nur überdeckt und blieben so noch in großem Umfang erhalten. 1997 wurde die Rekonstruktion weiterer Räume in Aussicht gestellt. Philipp Meuser äußert die Hoffnung, daß die inzwischen wissenschaftlich aufgearbeiteten De-Stijl-Theorien heute nicht mehr so unverständlich wie in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erscheinen und daß ein größeres Interesse an konkreter Kunst bestünde. [Philipp Meuser in: Bauwelt, Heft 18/19 1996, Seite 1054f]





 
Martin Sommer, 6. Nov. 2002 < Farben ^ > Übersicht