Farben

theoretische Grundlagen

Theo van Doesburg sieht das Licht als einen unverzichtbaren Bestandteil bei der Gestaltung von Räumen. Um einen Raum auch architektonisch zu gestalten, sei jedoch Farbe notwendig. Dabei macht er zunächst keinen Unterschied zwischen Material- und Farbenfarbe.


"Höchste Vollendung der Architektur ist nur dann möglich, wenn auch das Licht Gestalt bekommt. Die architektonische Gestaltung ist ohne Farbe undenkbar. Farbe und Licht ergänzen sich. Ohne Farbe ist die Architektur ausdruckslos, blind."
Theo van Doesburg in De Stijl, Nr. 87-89, Farben in Raum und Zeit, Seite 26

Theo van Doesburg unterteilt die Verwendung der Farben in die Kategorien der dekorativ-ornamentalen, der rationalistisch-konstruktiven und der schöpferisch-gestaltenden Anwendung. [Theo van Doesburg in De Stijl, Nr. 87-89, Farben in Raum und Zeit, Seite 27ff.] Diese Reihenfolge entspricht auch dem kunsthistorischen Auftreten der Prinzipien. Charakterisierend für die dekorativ-ornamentale Anwendung ist die Wiederholung und der fehlende Bezug zur Konstruktion. Konstruktion und Gestaltung bilden keine Einheit, sie sind nur "nebeneinander" und nicht als Einheit wahrnehmbar. Mit der, der Wiederholung immanenten, geistigen Armut sieht Theo van Doesburg die Abkehr vom Ornament begründet. In Folge der Überwindung des Ornaments und der Schaffung einer neuen Formensprache, die Theo als positiv hervorhebt, hätte man jedoch auf Farbe verzichtet und "grau in grau" [ebenda, Seite 31], also kontrastlos gebaut. Er bezeichnet diese Form von Architektur als "nackt" und "anatomisch" [ebenda, Seite 31].

Die schöpferisch-gestaltende Verwendung von Farben beschreibt Theo van Doesburg als die Verstärkung der räumlichen Wirkung durch die Farbgestaltung unter Zurücknahme des künstlerisch-individuellen Ausdrucks. Beispielhaft sieht er dieses Prinzip in seiner Zusammenarbeit mit van Eesteren 1923 verwirklicht. Dabei handelt es sich um das Haus Rosenberg sowie die Entwürfe Maison Particulière [siehe ] und Maison d'Artiste.

Nach der Lösung von der Individualität in der De Stijl-Kunst entstehe eine Beziehung von der Malerei zum Raum und dadurch auch vom Mensch zur Farbe. Bewegt sich der Mensch im Raum, könne die Dimension Zeit in der Architektur wahrgenommen werden. Theo van Doesburg vergleicht dieses neue Raumerlebnis mit dem Erlebnis des ersten Fluges mit einem Flugzeug.


"Nachdem [...] das Bild aufgehört hat, einen in sich abgeschlossene individuelle Ausdrucksform unserer Privaterlebnisse zu sein, kam die Malerei mit dem Raum, und was noch wichtiger war, mit DEM MENSCH in Berührung. Es entstand eine Beziehung von Farbe zum Raum, und von Mensch zur Farbe. Durch diese Beziehung des «bewegenden Menschen» zum Raum ergab sich eine neue Empfindung in der Architektur, die Empfindung der Zeit nämlich."
Theo van Doesburg in De Stijl, Nr. 87-89, Farben in Raum und Zeit, Seite 34

Im elementaristischen Raum geschehe die Wahrnehmung von Malerei und Architektur im Gegensatz zur ornamentalen Gestaltung nicht simultan, sondern "synoptisch". Ohne die den Raum gestaltende Farbe sieht Theo van Doesburg Architektur als ausdruckslos: "gestaltlos, blind und leer".[ebenda, Seite 34ff]


"Die gestaltende Raum-Zeitmalerei des 20. Jahrhunderts ermöglicht es dem Künstler, seinen grossen Traum, den Menschen statt vor, in die Malerei hineinzustellen, zu verwirklichen."
Theo van Doesburg in De Stijl, Nr. 87-89, Farben in Raum und Zeit, Seite 34



 
  Verwendung von Farben in der Aubette

Die farbige Gestaltung der Wände und Decken im Ciné-Dancing und im großen Festsaal wurde als Relief ausgeführt: Die Farbfelder wurden von 30cm breiten und 3cm hohen Streifen unterbrochen, um Überstrahlungseffekte zu verhindern [Villa Stuck, Seite 96]. Die unbunte Umgebung erhöht die Strahlungskraft der Farbe [Alfred Roth: Von der Wandmalerei zur Raummalerei, ?, Seite 56]. Bei zwei direkt aneinandergrenzenden Farben tritt ein Simultankontrast auf: Die Kontur wird durch das menschliche Gehirn verstärkt, dabei verdunkelt sich die dunklere Farbe im Grenzbereich, die hellere Farbe erscheint heller.

Im Ciné-Dancing sind die Streifen 35cm breit, dafür stehen die Farbflächen um 4cm vor.

Um kompositorische Konflikte mit der technischen Installation zu vermeiden, unterteilte Theo van Doesburg die Wände in eine graue "neutrale" Zone, die umlaufend 1,2m hoch war und in den darüber liegenden farblich gestalteten Bereich. Die Kantenlängen der Farbfelder waren Vielfache von 1,2m [Theo van Doesburg in De Stijl, Nr. 87-89, Notices sur l'Aubette a Strasbourg, Seite 6f].

Das Ciné-Dancing sieht Theo van Doesburg als den am kompliziertesten zu gestaltenden Raum. Jede Wand war durch Öffnungen unterbrochen, hinzu kam die Öffnung für den Filmprojektor, die Projektionsfläche sowie die Galerie. Im Nachhinein sieht Doesburg allerdings eine Verstärkung der elementaristischen Raumwirkung durch die zum Farbraster verdrehten orthogonalen architektonischen Elemente. Insbesondere die Galerie setze einen vorteilhaften Akzent zur Malerei. Insgesamt sei dem materiellen Raum ein künstlerischer Raum entgegengesetzt worden. [ebenda, Seite 6ff.]

 
Martin Sommer, 6. Nov. 2002 < Gestaltung durch Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp ^ > Raumwirkung