Aufgabe 3: Wo können Sie in sich selbst irgendein Vorurteil gegenüber Angehörigen einer anderen Kultur oder sogar einer Subkultur (z.B. Menschen anderer Teile Ihres Landes) fühlen. Was sind die tiefsitzenden Ursachen dieses Vorurteils? Sollten Sie dieses Vorurteil überwinden? Wie könnte man es in Angriff nehmen, solche negativen Einstellungen auszurotten ?


Vorurteile


Hristina - Daniela und Deniza - Aneta und Tsvetanka - Petya - Megi & Krassi - Gergana und Vladimir - Georgie & Georgie - Elena & Katherina - Mein Kommentar

Hristina:

Die meisten Vorurteile der Bulgaren sind mit den Zigeunern verbunden. Und diese Vorurteile werden wir vielleicht nie überwinden. Die allgemeine Meinung ist, dass sie faul, unordentlich und schmutzig sind und dass ihr Hobby (auch ihr Job) das Klauen ist. Wir treffen jeden Tag sie, weil es in jeder Stadt oder Dorf Zigeuner gibt. So können wir ihr Lebens- und Verhaltensweise beobachten. Natuerlich gibt es auch bei ihnen Ausnahmen, weil jeder Mensch ein Individuum ist.


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Daniela und Deniza:

Die Zigeuner: Die Art des Lebens der meisten von ihnen ist die Ursache für unsere Vorurteile. Der größte Teil von den Zigeunern lebt nur von Sozialhilfen und Diebstählen. Es ist aber zu bemerken, dass viele von ihnen ein pflichtbewusstes Leben führen, ihr Geld selbst verdienen und die Zukunft ihrer Kinder besorgen. Es ist schade, dass dieser kleiner Teil von Zigeunern, die ein kriminelles Leben führen, eine Ursache für unseren Vorurteile gegenüber der ganzen zigeunerischen Gesellschaft ist.


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Aneta und Tsvetanka:

Zwei besondere Gruppen in Bulgarien sind die Schopen und die Gabrovoer. Die Gabrovoer sind Menschen aus der nordbulgarischen Stadt Gabrovo. Die Schopen leben in der Hauptstadt Sofia und in der Naehe von ihr.
Die Gabrovoer sind die sparsamsten Bulgaren. Sogar sind sie geizig. Die Schopen sind zu faul. Wir geben einige Beispiele, die alles erklären. Das sind Geschichten aus dem Alltag:
1. Einladung
Besuch mich mal in Gabrovo, ich werde dich zu meinen Nachbarn führen, da kannst du sehen, was Gastfreundlichkeit ist.
2. Ein reicher Gabrovoer reiste im Zug dritter Klasse. Es war heißer Sommer und das Abteil überfüllt. Da fragte ihn ein Zigeuner: "Herr, warum fährst du denn dritter Klasse?" Antwort:"Weil es keine vierte gibt."
3."Wo ist dein Ehering?" "Diese Woche traegt ihn meine Frau", antwortete der Gabrovoer
4. Unter Schopen: "Warum gräbst du im Sitzen?" - "Weil ich es im Liegen versucht habe, aber es geht nicht."
5. "Warum die Schlange das Lieblingstier der Schopen ist?" - "Weil die im Liegen läuft."


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Petya:

Unserer Meinung nach sind die Deutschen sehr zurückhaltend. Selbstverständlich gibt es verschiedene Menschen, allgemeine Tendenzen für uns aber sind die starke Individualisierung und Selbstständigkeit, die diese Zurückhaltung bestimmen. Wir selbst waren in Deutschland und haben schon Erfahrungen. Diese Eigenschaft hat positive und negative Seiten. Außer Grenzen (sehr zurückhaltend oder sehr offen zu sein) ist sie aber bestimmmt nicht positiv.
Ob wir diesen Vorurteil überwinden sollen, ist schwierig zu sagen. Vielleicht, wenn das nicht stimmt, wenn wir mehr Zeit in Deutschland verbracht hätten, oder mit mehreren Menschen aus Deutschland Kontakte hätten, können wir auch andere Meinung haben, dann müssen wir dieses Vorurteil überwinden.


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Megi & Krassi:

Wir beiden haben dieselbe Meinung nach dem Thema über die Vorurteile. Nach unser Meinung ist es falsch zu denken, dass eine Eigenschaft für alle Mitglieder einer sozialen Gruppe gültig ist. Jeder Mensch hat seine eigene Individualität, seine eigenen Charakter. Bevor wir den Menschen sehen und ihn kennenlernen, können wir nicht sagen, dass er gut kochen kann, nur weil er ein Franzose ist, und dass er ein Romantiker ist, nur weil er ein Italiener ist.
Wir meinen, dass diese Vorurteile bei der Kommunikation nicht helfen, sondern hindern. So können zwischen zwei Kulturen Missverständnisse entstehen, weil jemand irgendwelche Erwartungen hat, die nicht in Erfüllung kommen.
Hier in Bulgarien gibt es auch manche Vorurteile. Eine sehr verbreitete Auffassung ist, dass die Leute aus Gabrovo (eine Stadt in Bulgarien) besonders sparsam sind und es gibt viele Witze darüber. Wir denken, dass das nicht ehrlich ist.


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Gergana und Vladimir:

Typisches Vorurteil ist die Beziehung zwischen den Leuten in den Dörfern. Dieses Vorurteil beruht darauf, dass sie in einem engen geschlossenen Kreis leben, in dem sich alle kennen und irgendwie "ein Teil" vom Leben der anderen sind. Dieser Kreis bestimmt die Regel, mit den man leben muss, damit man zu diesem Kreis gehören darf. Und wenn man diese Regel übertritt, wird man zu einem "schwarzen Schaf".
Sie haben meistens Angst, etwas zu machen, was ihnen gefällt, weil die anderen nachher einen schlechten Eindruck von ihnen haben könnten. Deshalb ist fuer sie nicht typisch "Was meine ich?", sondern "Was würden die Leuten sagen, falls ich dieses oder jeniges machen würde?"

Genau das Gegenteil betrifft die große Stadt. Jeder Mensch entscheidet für sich selbst, was für ihn richtig oder falsch ist. Jeder hat eigene Lebensprinzipien und niemand interessiert sich für die Lebensprinzipien der anderen.
Hier gilt: "Ich mache das, was mir gefällt!" Niemand interessiert sich mehr oder weniger für mich, also ich interessiere mich auch für niemanden - das ist unserer Meinung nach die Überwindung des o.g. Vorurteils.
Es klingt viellleicht ein bisschen egoistisch, aber in der heutigen Gesellschaft ist das eine Tatsache und eine gute Lösung des "Problems".


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Georgi & Georgi

Viele Bulgaren haben Vorurteile gegen die Türken. Sie denken an sie in eine negativer Hinsicht.
Es kommt dadurch, dass die Türken fünf Jahrhunderte über unser Land herrschten. Unsere Vorfahren mussten sich verteidigen und das bulgarische Ethnos erhalten. Sie haben einen Hass gegen die Eroberer entwickelt, was auch selbstverständlich ist.
Die Türken werden immer noch von manche Leute gehasst. Sie sehen in den Türken die Eroberer. Aber wir müssen einsehen, dass die heutigen Türken keine Schuld daran haben.
In Bulgarien gibt es viele Regionen, in denen Bulgaren und Türken in Frieden zusammen leben und sogar gute Freunde sind. Georgi Gogov ist aus Kardjali wo viele Tuerken leben und er hat viele Freunde und Bekannte, die Türken sind.
Wir denken, dass die Vorurteile zweideutig sind. Einerseits helfen sie uns einen ersten Eindruck zu gewinnen, andererseits ist dieser Eindruck oft falsch. Wir denken, man sollte die fremde Kultur erst gut kennenlernen und danach sich über sie äußern.


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Elena & Katherina

Prinzipiell haben die Bulgaren viele Vorurteile. Natürlich sind diese zu spüren auch gegenüber Menschen, die in Bulgarien leben: z.B. ein Problem in Bulgarien sind die Konfrontationen mit den Minderheiten - Zigeuner, Türken und andere.
Das Problem mit den Zigeunern ist es, dass diese sehr faul, schlampig und hinterlistig sind. Die Gegend, die sie bewohnen, sehen wie nach einem Bombenattentat aus. Sie können und wollen nicht arbeiten, deshalb sind sie "gezwungen" ihr Geld mit Klauen zu verdienen. Die Zigeuner werfen uns vor, dass wir sie nicht als Arbeitshilfe nehmen wollen, dass sie arbeitslos sind und niemand für sie sich interesseirt. Sie sagen "Wir wollen arbeiten und unser Geld mit Mühe verdienen " - das ist aber nicht so. In den Schulen herrschen auch Vorurteile - zwischen Kindern.
Die Vorurteilen mit den Türken sind historisch bedingt. Sie haben eine andere, uns fremde Religion. Über einige, die den Muslimischen Glauben schon in der Vergangenheit angenommen haben, kann man nicht sagen, ob sie Bulgaren oder Türken sind. Sie wissen das selbst nicht. Vor ungefaehr 10 Jahren gab es ein Problem mit den Namen dieser Minderheit. Alle Türken sollten einen neuen bulgarischen Namen bekommen.
Ein anderes Vorurteil gibt es zwischen den Leuten, die auf dem Lande leben und diese, die in der Stadt wohnen. Die Stadtleute denken, dass die Landleute zu primitiv sind, dass sie weit weg von der Zvillisation sind. Oft verhalten sich die Landleute auch ein bisschen komisch, wenn sie in eine grosse Stadt kommen.
Diese negativen Einstellungen kann man ausrotten, wenn sie vielleicht mehr Popularität bekommen. Man soll mehr darüber diskutieren und gemeinsam eine Lösung finden.


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Mein Kommentar:

Zu Stereotypen ist zu sagen, das es aus folgendem Grund nicht einfach ist, damit umzugehen: Stereotype haben zwei Seiten.
Zum einen helfen sie uns, fremde Dinge oder Personen schnell einzuordnen: man vergleicht typische Merkmale von Neuem immer mit Bekanntem und kann so schnell entscheiden, wie man auf Neues reagieren soll. Stereotype haben also wichtige Funktionen, z.B. in der Wahrnehmung der Welt.
Zum anderen sind Stereotype aber auch problematisch, vor allem dann, wenn sie zu Vorurteilen werden - zu negativen Wertungen. Wenn ich bei meinen Stereotypen stehenbleibe, kann ich nie erfahren, wie das Andere oder der andere Mensch wirklich ist. Und Vorurteile haben schon zu Feindschaften und Gewalt gegen andere Menschen geführt...

Weil Stereotype diese zwei Seiten haben, ist es schwierig, mit ihnen umzugehen. Weil sie auch wichtige Funktionen haben, kann man nicht einfach sagen: "Ich will meine Stereotype überwinden." Ich denke aber, man muss lernen, über seine Stereotype nachzudenken: Woher kommen sie? Wieviel an ihnen zeigt sich durch eigene Erfahrung, wieviel habe ich von anderen gehört? Wieviel ist richtig und wieviel ist ungerechtferigte Verallgemeinerung? Sehr ich das Verhalten des anderen als schlecht an, weil es anders ist als mein Verhalten und weil ich es nicht verstehe?

Dieses Nachdenken über Stereotype finde ich zum Beispiel bei Daniela und Deniza: sie schreiben, dass die Art des Lebens der Zigeuner Ursache unserer Vorurteile ist. Wir vergleichen unbewusst immer fremdes Verhalten mit dem, was für uns normal ist (denken Sie an den Begriff "Kulturstandards" aus der Kulturdefinition im ersten Teil des Kursbuches!) Wenn es anders ist, ist es seltsam, komisch und wird häufig negativ gesehen.

So können auch Stereotype entstehen. Zum Beispiel Petya: "Unserer Meinung nach sind die Deutschen sehr zurückhaltend".
In diesem Zitat sieht man sehr gut, wie man einen Stereotyp sprachlich erkennt: meist am bestimmten Artikel! DIE Deutschen sind - zurückhaltend. Sicher haben Sie aus eigener Erfahrung bemerkt, dass es in Deutschland nicht so einfach ist wie zu Hause, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, das es länger dauert, jemanden kennenzulernen, dass Deutsche nicht so schnell von sich erzählen, wie Sie das vielleicht von zu Hause kennen ... Deshalb empfinden Sie dieses Verhalten als zurückhaltend.
Für die Deutschen, die Sie getroffen haben, war dieses Verhalten aber wahrscheinlich ganz normal (eben nicht zurückhaltend - zurückhaltendes Verhalten wäre anders!). Sie haben also das fremde Deutsche Verhalten nach dem gemessen, was für Sie normal ist - und bewertet. Genau so funktionieren Kulturstandards und so entstehen Stereotype.
Das ist übrigens ganz normal, dass man Fremdes nach dem Eigenen bewertet - aber wir sollten wissen, dass das so ist. Dann verstehen wir auch besser, wie leicht man fremdes Verhalten falsch beurteilen kann und werden ein wenig sensibler für die eigenen Urteile. Und wir merken vielleicht leichter, dass wir Stereotype verwenden, wenn wir den bestimmten Artikel benutzen: die Deutschen, die Bulgaren, die Männer, die Frauen ....

Ja, und dann die Vorurteile und Stereotype über regionale Gruppen im eigenen Land: die Schopen und die Gabrovoer :-) Die Stereotype entstehen genauso wie eben beschrieben und man macht gern Witze über diese Volksgruppen. Das ist in Deutschland ähnlich: Es gibt Bayernwitze, Ostfriesenwitze und Witze über die Sachsen (diese Internetlinks sind nur Beispiele. Manche müssen Sie sich vielleicht von Ihrer Lehrerin erklären lassen, besonders die, in denen Dialekt vorkommt). Man macht sich über den Dialekt oder das Verhalten lustig und meist sind die anderen ein bisschen dümmer als wir. Solange aber die Gabrovoer, die Bayern, die Ostfriesen und die Sachsen selbst über diese Witze lachen können, ist eigentlich alles in Ordnung :-)

Neu am 27.03.:
Georgi & Georgi schreiben: "Wir denken, man sollte die fremde Kultur erst gut kennenlernen und danach sich über sie äußern." Das ist einerseits richtig: Wissen über eine andere Kultur kann Vorurteile abbauen. ABER das ist gar nicht so einfach - Bausinger (2000) schreibt zur Funktion von Typisierungen und Stereotypen:

"Man kann fast von einer Beschwörungsfunktion sprechen: Das in Wirklichkeit höchst komplizierte und schwer durchschaubare Fremde wird in ein überschaubares Muster gebannt, das als erklärendes Ordnungsschema dient. Wer in ein fremdes Land kommt, sucht mehr oder weniger automatisch nach festen Charakteristika und ist zunächst schnell bereit, von Einzelbeobachtungen aufs Ganze hochzurechnen ..."

Bei Stereotypen "handelt es sich vielfach um Vereinfachungen, die sich nicht ohne weiteres widerlegen lassen, weil sie die Beobachtung steuern, die Wahrnehmung mitbestimmen." (Bausinger, Hermann: Typisch Deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen? - München: Verlag C.H. Beck 2000, 25-26).

Wenn Stereotype also die Beobachtung steuern und die Wahrnehmung mitbestimmen, dann nehmen wir häufig nur das wahr, sehen wir nur das, was wir durch die Brille unserer Stereotype sehen können! Deshalb reicht Wissen allein oft nicht aus, um Stereotype zu überwinden. Man muss versuchen, diese Stereotype - diese Brille, mit der ich das Andere unbewusst sehe - zu erkennen und darüber nachdenken, wie diese Stereotype entstanden sind, was das "Körnchen Wahrheit" an ihnen ist und obn sie wirklich immer zutreffen. Man muss also lernen, über seine Stereotype nachzudenken.


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Zuletzt bearbeitet: 27.03.2002 Dr. Ulrich Zeuner