Mit der Gumminase nach Kopenhagen

29.05.1998

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Es geht los am Freitagnachmittag. Noch schnell etwas RC (ReiseCola) im Supermarkt gekauft, um die exorbitanten Preise der Monopolinhaber zu umgehen, und pünktlich um 14.16 Uhr setzt sich der IR 2734 nach Lübeck im Magdeburger Hauptbahnhof in Bewegung. 

Wichtig: zu öffnende Fenster 

Es ist sehr warm. Doch der Nachteil des IR - keine Klimaanlage - erweist sich als sein größter Vorteil: Man kann die Fenster öffnen und so all die interessanten Dinge erspähen, die sich dem geübten Auge darbieten. 

Stendal. Ich sehe, daß der Bahnseig 1 endlich nutzbar ist (obwohl der IR Richtung Westen inzwischen schon wieder von anderen Bahnsteigen fährt) und nach kurzem Aufenthalt geht es weiter. Hinter Stendal dann ein großes Erlebnis: Zum ersten Mal sehe ich ein in freier Wildbahn lebendes Signal Sp 1 (Nachschieben einstellen)! Grund des Nachschiebens hier im Flachland ist die Rampe im Bf Stendal, die benötigt wird, um die Strecke Berlin - Lehrte (Stammstecke) niveaufrei zu kreuzen. Mit Einführung der elektrischen Traktion ist das Nachschieben hier allerdings entbehrlich geworden. Ich habe mir sagen lassen, daß es früher gewaltige Probleme machte, schwere Güterzüge dieser Richtung in einer halbwegs passablen Zeit aus dem Bahnhof zu bringen. 

Überraschung in Schwerin! Als mein Blick über den Bahnsteig schweift, der bereits mit Anzeigern der neuen Generation ausgestattet ist, bemerke ich, daß die Uhren keine weißen Zeiger auf blauem Grund tragen! Stattdessen sehe ich schwarze Zeiger und schwarze Minutenteilung auf weißem Grund. Es sieht aus, als ob die Uhren nachträglich umgebaut worden sind, denn durch einen optisch fehlenden Rand machen sie den Eindruck einer Bastellösung. 

Der Zug ist zu lang!

In Bad Kleinen wechseln wir nicht nur die Fahrtrichtung, sondern auch die Traktionsart. Dummerweise ist der Zug so lang, daß die neue Lok bereits über das Ausfahrsignal hinaus steht. Auf die Durchsage "Zug ... zurückdrücken" und "Achtung Reisende! Nicht mehr Ein- und Aussteigen! Zug wird zurückgedrückt!" (Was stellen sich wohl unbedarfte Reisende unter "Zurückdrücken" vor?) folgt ein aufgeregtes Hin und Her am Bahnsteig. Letztlich fahren wir mit +2 aus. 

Ab Grevesmühlen darf ich die akustischen Vorzüge gelaschten Oberbaus genießen. So reisten also unsere Vorfahren! 

Irgendwann bemerke ich ein Schild, welches Angaben über den Zugfunk macht. Der Wechsel der Hektometerzeichen von Steinen in Tafeln bestärkt mich in der Annahme, daß ich den Bereich der DV 408 verlassen habe. 

Die Bezeichnung "Gumminase" ist gerechtfertigt

Um 17.52 Uhr erreiche ich Lübeck Hbf. Die Lautsprecherdurchsagen sind von militärischer "Frische", geradeso, als ob am Mikrofon noch ein "Aufsichtsbeamter" seinen Dienst verrichtet. Hier endet der IR und mit gespannter Neugierde erwarte ich meine Gumminase, die um 17.37 Uhr in Hamburg gestartet ist. Noch ein Blick auf den Wagenstandsanzeiger (Oh! Die Züge sind ja wirklich kurz!) und schon rollt der EC 37 Karen Blixen in die Bahnhofshalle ein. 

Die Bezeichnung "Gumminase" tragen diese Züge zurecht, denn die Nase der dänischen IC3 ist wirklich gewaltig. Es fällt mir auf, daß eine Einheit, bestehend aus Triebwagen+Mittelwagen+Triebwagen nur zwei Eingänge pro Seite besitzt. Tatsächlich werden diese drei (fest gekuppelten) Fahrzeuge auch verkehrlich nur als zwei Wagen betrachtet: In der Mitte des Mittelwagens hört ein (verkehrlicher) Wagen auf und der nächste beginnt. 

Die Bezeichnungen "Vogn" und "Plads" geleiten mich zu meinem reservierten Sitz. Die Sessel sind bequem. 

Abfallbehälter am Platz gibt es nicht. Dafür hängen unter den Tischen Tüten, mit denen man den Müllbehälter im Vorraum füttern kann. 

Die DSB möchte keine Behörde mehr sein

Dreisprachig schnarrt die Begrüßung durch die Lautsprecher. Danach nehme ich mir die Kundenzeitschrift der DSB vor. Zwar bin ich des Dänischen nicht mächtig, doch so viel kann ich entziffern (Dänisch ist gar nicht so schwer!): Die DSB verabschiedet sich von ihrem 25 Jahre alten Designprogramm. Demnächst gibt es ein neues Logo, neue Farben, neue Uniformen, neue Schriftarten... Man möchte damit die Abkehr von der Behörde symbolisieren und Kundenfreundlichkeit ausstrahlen. Kommt mir alles seeehr bekannt vor. 

Ähnlich wie im ICE 2 befinden sich an den Stirnseiten dynamische Informationsanzeiger, deren Angaben sich allerdings auf Dänisch beschränken. Nächste Station: Ostsee! Damit ist die dänische Fähre gemeint, die uns auf der Vogelfluglinie nach Rodby übersetzt. Zeit, Abendbrot zu essen. Zum Glück habe ich den Kurs der dänischen Krone nicht im Kopf, so daß ich mich über den Preis eines Schnitzels mit Pommes gar nicht ärgern kann. Bezahlen mit Visa ist doch sehr bequem, zumal ich keine einzige Krone in der Tasche habe. 

Da wir gerade beim Geld sind: Die Reise war recht preiswert, wenn man weiß, daß es da den Tarif "Kopenhagen Spezial" gibt. Er gilt nur zwischen Berlin und Kopenhagen. Somit brauchte ich nur noch eine reguläre Fahrkarte Magdeburg - Wittenberge und schon zahlt man für Hin- und Rückfahrt mit Bahncard nur noch ca. 130 DM. Im ReiseZentrum muß man die ReiseBerater allerdings mit der Nase auf das SonderAngebot stoßen. 

Wer auf einer Fähre gen Dänemark fährt, bekommt unweigerlich den Eindruck, daß es am Ziel kein Bier geben kann. Kistenweise (bis zu 20!) wird Faxe-Bier gekauft und verschnürt auf Sackkarren abgefahren. 

Die Gumminase steht 20 cm vor dem Schott

Durch den Wald der Bierkisten schlage ich mich wieder zum unteren Parkdeck durch, wo mein Zug steht. Zeit, für ein kleine Inspektion. Ein Kabel führt Elektroenergie zu. Vor die Wagentüren sind kleine Treppen geklappt. Die Spitze des Zuges - also die Nase - steht nur ca. 20 cm vom Schott entfernt, die Kupplung ist noch näher dran. 


Schwierigkeiten habe ich, die inneren Schiebetüren zum Öffnen zu überzeugen. Erst die Hand vor dem Sensor bringt das System zum Arbeiten. An mir kann das aber nicht liegen, denn ich beobachte, daß andere Reisende ähnliche Schwierigkeiten haben. 

Häufige Betriebshalte auf der eingleisigen Strecke

Um 20 Uhr ist Rodby erreicht. Nun denn: Auf in das Land, in dem die Olsenbande die Weichen stellt. Als Sicherungstechniker interessiert mich das dänische Signalsystem natürlich besonders. Günstigerweise sitze ich in Fahrtrichtung rechts, so daß ich die für unseren Zug gültigen Signale halbwegs erkennen kann. 

Von Rodby bis Nykøbing Faelster kann ich keinen einzige Bahnsteig entdecken. Dafür hat die eingleisige Strecke jedoch alle paar Kilometer Kreuzungsbahnhöfe mit zwei Weichen. Auch auf der weiteren Fahrt bleibt der Zug ab und zu auf einem dieser Gleise stehen, um den Gegenzug passieren zu lassen. 

Bahnhofs- und Streckensicherung werden getrennt signalisiert

Die Einfahrsignale habe große Signalschirme und zeigen rot, gelb, grün einzeln und in verschiedenen Kombinationen. Die etwas kleineren Ausfahrsignale an den einzelnen Gleisen scheinen dagegen in Grundstellung zwei weiße waagerechte Lichter zu zeigen. Bei Ausfahrt zeigen sie ein kleines, grünes Licht. Aber was ist das? Hinter der Weiche steht ein weiteres Lichtsignal, diesmal so groß wie das Einfahrsignal! Das läßt nur einen Schluß zu: Bahnhofs- und Streckensicherung werden getrennt signalisiert! Sicherlich hat dies historische Ursachen. 

Die Einfahrsignale werden durch ein bis drei schräge, weiße, rot umrandete Tafeln angekündigt. Man kann sie vergleichen mit unseren Vorsignalbaken, nur, daß sie eben das Hauptsignal ankündigen und in einem Abstand von 200...300 m stehen. Der Abstand von der letzten Bake bis zum Hauptsignal ist etwas größer. Vorsignale gibt es auch, sie stehen in Höhe der zweiten Bake. 

Autos scheinen ein beliebtes Ladegut zu sein. Etwa die Hälfte aller Güterwagen, die ich sehe, arbeiten zum Vorteil des Individualverkehrs. Ein Wagen trägt die Aufschrift "DSB infrastruktur". Aha, denke ich, hier ist der Geschäftsbereich Netz tätig (oder doch ein Werk?). An einem anderen Wagen steht "DSB gods" geschrieben. Die Assoziation zu DB Cargo ist nicht weit... 

Die Vorsignalisierung erfolgt mit dem Hauptsignal

Ringsted ist ein großer Bahnhof. Ab hier verläuft die jetzt elektrifizierte Strecke zweigleisig bis Kopenhagen. Vorsignale sind jetzt nicht mehr zu erblicken; dafür folgen die Hauptsignale in engen Abständen. Klare Sache: Hier muß es sich um eine Art Automatikblock handeln, bei dem die Vorsignalisierung an den Hauptsignalen erfolgt. 

Klassische Stellwerke gibt es nicht mehr

Um noch mal auf die Olsenbande zurückzukommen: Herrn Brodersen und Herrn Godfridsen vom Stellwerk habe ich nicht gesehen. Das war auch gar nicht möglich, da es klassische Stellwerke, zumindest an der von mir befahrenen Strecke, nicht mehr gibt. Entlang der Strecke und im Bahnhof gibt es nur mit Holz verkleidete und schwarz gestrichene Schalthäuser. In Knotenbahnhöfen kann man Gebäude ohne Fenster sehen, hinter dessen Wänden sich das Bedienpersonal vermuten läßt. 

Im ZugBegleiterFahrPlanFahrPlanerReisePlan ist zwar Rodby noch mit einer korrekten Abfahrtszeit angegeben, dafür steht in der Abfahrtsspalte für Nykøbing F, Ringsted und Hoje Taastrup "0.00" - obwohl ich um 21.59 planmäßig ankommen soll. Da hat wohl jemand geschlafen. 

Apropos Schlafen: Langsam werde ich müde, während ich durch die hell erleuchteten Vorortbahnhöfe von Kopenhagen fahre. Mit +5, die wir schon seit Ringsted mit uns herumschleppen (waren wohl doch etwas viele Kreuzungen auf der eingleisigen Strecke), erreicht der Zug sein Ziel: Københaven H. Und damit endet eine meiner interessantesten Eisenbahnfernfahrten.


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Autor: Uli M@schek, letzte Änderung am 15.09.1998