Presseerklärung des Eisenbahn-BundesamtesBonn, den 18.02.2000zum Eisenbahnunfall vom 06.02.2000 in Brühl Das Eisenbahn-Bundesamt hat heute die Staatsanwaltschaft Köln überdie wesentlichen Ergebnisse seiner Unfalluntersuchung informiert. Eine anfängliche Vermutung, dass der Lokführer des D 203 nurunzureichend ausgebildet gewesen sei, konnte nicht erhärtet werden.Offen bleibt, ob seine kurze Fahrpraxis im schnellen Reisezugverkehr aufden Eisenbahnstrecken des Bundes für das Unfallereignis begünstigendgewirkt hat. Feststeht, dass die Filmaufnahmen, in denen über ein Langsamfahrsignalberichtet worden ist, mindestens 18 Stunden nach dem Unfall vom Sonntagentstanden sind. Diese Aufnahmen bilden daher keine zuverlässige Grundlagefür eine Ursachenermittlung. Durch Auswertung technischer Aufzeichnungen konnten Vermutungen, dassvor dem Unglück Züge regelwidrig durch Gleis 2 des BahnhofteilsBrühl Personenbahnhof geleitet wurden, widerlegt werden. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass in der Bau- und Betriebsanweisung(Betra) für die Durchführung des Zugverkehrs während derBauarbeiten verschiedene Mängel enthalten waren. Dabei handelt essich in keinem Fall um einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften,sondern um Abweichungen vom unternehmenseigenen Regelwerk und Schreibfehler.Inwieweit diese zum Unfallereignis kausal beigetragen haben, wird von derStaatsanwaltschaft Köln geklärt, die die weiteren Untersuchungenführt.
Bahnfahren ist weiterhin sicherEisenbahner Rundschau, März 2000Das sicherste Verkehrsmittel ist Deutschland ist statistisch gesehendie Bahn. Wer sich in sein Auto setzt, um an ein bestimmtes Ziel zu kommen,muß etwa zehn Mal häufiger mit einem tödlichen Unfall rechnenals im Zug. (...) Beide Verkehrsträger werden dabei immer sicherer.Für die Bahn gilt dies fast durchgehend seit der Nachkriegszeit. ImStraßenverkehr stieg das Risiko wegen des Autobooms bis etwa 1970zunächst an, seither sinkt die Zahl der Opfer wieder. (...) Laut Statistischem Bundesamt starben je Milliarden Personenkilometer1997 statistisch 0,8 Bahnreisende, aber 7,7 Menschen auf der Straße.Diese Zahl umfaßt auch die recht sicheren Busse und Straßenbahnen,im Auto ist das Unfallrisiko noch höher. Die Flugzeuge liegen mit2,1 Toten je Milliarde Personenkilometer dazwischen. (...) Im Jahr 1996 sah der Vergleich noch günstiger für die Bahnaus, im Eschede-Jahr 1998 dagegen schlechter. Mit 6,9 gegenüber 1,8Toten je Milliarde Personenkilometer war das Risiko auf der Straßeaber immer noch fast vier Mal so hoch wie auf der Schiene.
27.06.2000Eisenbahnbundesamt kreidet Bahn Versäumnisse bei Brühl-UnfallanFrankfurt/Main (AP)Das Eisenbahn-Bundesamt hat in seinem Untersuchungsgericht zum Zugunglückvon Brühl der Deutsche Bahn AG zahlreiche Mängel und Versäumnissebescheinigt, wie die «Frankfurter Rundschau» berichtet. Sosei die Signalgebung in vier Punkten unzureichend gewesen, zitiert dieZeitung in ihrer Mittwochausgabe aus dem Gutachten der Aufsichtsbehörde.Der Lokführer sei zudem nicht für einen Einsatz als Streckenlokführergeschult gewesen. Auch in Änderungen des DB-Regelwerks, die 1999 inKraft getreten seien, sei er nicht unterrichtet worden. Mit Fahrten imGleichwechselbetrieb wie bei den Bauarbeiten am Bahnhof in Brühl seider Mann daher nicht vertraut gewesen. Bei dem Unfall waren am 6. Februar neun Menschen getötet und 149Fahrgäste verletzt worden. Der Nachtexpress war an einer Weiche entgleist,weil der Lokführer an einer Baustelle zu früh wieder beschleunigthatte. Die «Frankfurter Rundschau» schreibt weiter, die zuständigeStaatsanwaltschaft Köln habe das Eisenbahn-Bundesamt in entscheidendenPunkten falsch zitiert. So habe die Staatsanwaltschaft Ende April in einerPresseerklärung unter Berufung auf das EBA geschrieben, die Signalgebung,die die Langsamfahrt von der Baustelle durch den Bahnhof vorgeschriebenhabe, sei regelrecht gewesen. Zur Qualifikation des Lokführers erklärtedie Ermittlungsbehörde den Angaben der Zeitung zufolge, der Mann habe«eine mit DB-Lokführern vergleichbare Ausbildung bei einer nichtbundeseigenenEisenbahn durchlaufen und eine dem Regelwerk der DB AG entsprechende Prüfungabgelegt, so dass eine erneute Prüfung entbehrlich gewesen sei».
Ungereimtheiten und Fehler in der Bibel der LokführerFrankfurter Rundschau, 11.10.2000Das Eisenbahnunglück von Brühl, die Frage nach der Schuldund die Geheimniskrämerei um den Untersuchungsbericht / Eine Analyse vonWinfried Wolf Der offizielle Untersuchungsbericht des Eisenbahnbundesamtes (EBA)zum schweren Eisenbahnunglück in Brühl vom 6. 2. 2000 liegt seit dem 20.April 2000 vor. Doch die parlamentarische und öffentliche Debatte über diesenBericht findet nicht statt - weil "gemauert" wird. Dabei enthält der Untersuchungsberichtdrei entscheidende Botschaften: 1. Der Lokführer hat nicht, wie ursprünglichu. a. von Bahnchef Mehdorn behauptet, die Alleinschuld. 2. Die Begleitumständedes Unglücks lassen den Schluss zu, dass bisher gültige Sicherheitsstandardsbei der Bahn ernsthaft in Frage stehen. 3. Das EBA als offizielle Sicherheitsbehörde ist mit seiner personellen Ausstattung nichtin der Lage, die Sicherheit im Schienenverkehr ausreichend zu kontrollieren. Zudiesem Ergebnis kommt Winfried Wolf, verkehrspolitischer Sprecher der PDSim Bundestag und ihr Obmann im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.Er hat den Untersuchungsbericht eingesehen. Wir dokumentieren seine Analyse desPapiers im Wortlaut. In der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 2000 fuhr der D-Zug 203 mit201 Fahrgästen fahrplanmäßig von Amsterdam nach Basel.Nach dem Halt in Köln-Hauptbahnhof wurde der Zug wenige Kilometer vor Bonn im GüterbahnhofBrühl wegen Bauarbeiten auf dem Richtungsgleis über eine Weiche aufdas Gegengleis umgeleitet. Er durchfuhr die Weiche und den Baustellenbereich mit dem vorgeschriebenen Tempo von 40 km/h. Kurz danach, auf dem Gegengleis, beschleunigte der Lokführer bis auf Tempo 120 Kilometer pro Stunde,obgleich weiter eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 km/h galt. Im Personenbahnhof Brühl sollte der Zug über eine weitere Weiche auf das östlichereGleis 3 (das Überholgleis innerhalb des Bahnhofs Brühl) umgeleitet werden.Der Grund dafür war, dass nur über Gleis 3 eine signaltechnisch gesicherte Ausfahrtauf das Streckengleis Brühl-Sechtem möglich war. Doch für die neuerliche Weichen-Umleitung wies der D 203 mit 122km/h eine viel zu hohe Geschwindigkeit auf; technisch möglich wäre ca. Tempo66 km/h gewesen. Der Zug entgleiste; die Lok und mehrere Wagen stürzten die Böschunghinunter, wobei die Lok gegen ein Wohnhaus prallte. Zwei Sitzwagen stellten sichquer und prallten gegen die Überdachung des Bahnsteiges zwischen Gleis2 und 3. Neun Reisende wurden getötet, 148 wurden - zum Teil schwer - verletzt.Der insgesamt entstandene Sachschaden wird auf 50 Millionen Mark geschätzt. Der immaterielle Schaden, der der Deutschen Bahn AG entstand, ist nicht abschätzbar. Tatsache allerdings ist, dass sich nur eineinhalbJahre nach der Eisenbahnkatastrophe von Eschede ein weiteres spektakuläres Eisenbahn-Unglück ereignete, bei dem die Zahl der Getöteten nur durch glücklicheUmstände relativ beschränkt blieb. 1. Untersuchungsbericht des Eisenbahn-Bundesamtes Das Eisenbahnbundesamt (EBA) hat als die Behörde, die seit derBahnreform 1994 für die Sicherheit im Eisenbahnverkehr zuständig ist, wenigeStunden nach dem Unglück die Untersuchungen am Unglücksort begonnen. Nachumfangreichen Gesprächen und Vernehmungen mit Beteiligten, welche die StaatsanwaltschaftKöln zusammen mit dem EBA durchgeführte, erstellte die Behördebis April 2000 den offiziellen Untersuchungsbericht. Dieser wurde mit der beauftragten Staatsanwaltschaft und mit dem Vorstand der Deutschen Bahn AG abgestimmtund schließlich am 20. April 2000 in seine endgültige Fassunggebracht. Im Bundestagsausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hattees eine erste Diskussion zu dem Unglück am 16. Februar bei Anwesenheit von BahnchefHartmut Mehdorn und dem Vertreter des Eisenbahnbundesamtes, Hans-Heinrich Grauf, gegeben. Diese Erörterung erfolgte gemäß einer seitlanger Zeit praktizierten Tradition, wonach der zuständige Fachausschuss des Deutschen Bundestagessich mit bedeutenden Verkehrsunfällen (zur See, auf Schienen, auf Straßenoder im Flugverkehr) befasst - insbesondere mit der Zielsetzung, daraus Folgerungenfür eine verbesserte Verkehrssicherheit zu ziehen. In der fraglichen Ausschuss-Debatte zum Brühler Unglück am16. Februar traten erhebliche Konflikte zwischen Mehdorn und dem EBA-Vertreter zu Tage.In dieser Sitzung hatte der EBA-Vertreter die unzureichende Ausbildung des Lokführers hervorgehoben; Mehdorn wiederum hatte sich vor dem Ausschuß vomEBA "die Einmischung in ein laufendes Verfahren" verbeten, was von einer großenAnzahl von Ausschussmitgliedern aus unterschiedlichen Fraktionen gerügtworden war. Alle Parteien und der Ausschussvorsitzende Eduard Oswald waren sichnach dieser ersten Erörterung einig, eine abschließende Diskussion überdieses Eisenbahnunglück dann führen zu wollen, wenn der offizielle Untersuchungsbericht vorliegen würde. Als der Bericht zwei Monate später erstellt war, kam es jedochzu unterschiedlichen Auffassungen über die Frage, inwieweit dieserBericht allen Mitgliedern des Verkehrsausschusses zugänglich gemacht werdenkönnte. U. a. wurde eingewandt, der Bericht enthalte "personenbezogene Daten", dieeiner Weitergabe an alle Ausschussmitglieder im Wege stünden. Am 11. Juli 2000 teilte der mit der Untersuchung beauftragte Staatsanwalt Krautkremer von der Staatsanwaltschaft Köln gegenüber Hans-HeinrichGrauf vom EBA mit: "Gegen eine Weiterleitung Ihres Untersuchungsberichts an die Mitglieder des Deutschen Bundestages bestehen hier keine Bedenken."Dennoch kam es nicht zu einer solchen Weiterleitung an die Ausschussmitglieder.Stattdessen wurde das EBA beauftragt, eine "Kurzfassung" des Berichtes zu erstellen. Selbige wurde nach der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt undden in diesem Ausschuss vertretenen Bundestagsabgeordneten zugestellt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen teiltemit Schreiben vom 13. 9. 2000 an den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, EduardOswald, mit, dass "das Eisenbahn-Bundesamt . . . eine inhaltliche Zusammenfassung seines Untersuchungsberichts zur Entgleisung des D 203 im Bahnhof Brühl . . . vorgelegt" habe, "die keine personenbezogenen Daten oder Informationen enthält. Diesen Bericht lege ich Ihnen für die Mitgliederdes Ausschusses . . . wunschgemäß vor." Das Schreiben, unterzeichnet vom parlamentarischen Staatssekretär Kurt Bodewig, enthielt auch die Mitteilung, wonach"ich Sie gleichzeitig darauf aufmerksam (mache), dass die StaatsanwaltschaftKöln auf Nachfrage bestätigt hat, sie habe keine Bedenken, den Untersuchungsberichtvom 20. April den Ausschussmitgliedern zur Verfügung zu stellen." Die Obleute (Vertreter der vier Bundestagsfraktionen) des Ausschusses entschieden mehrheitlich, den umfassenden Untersuchungsbericht den Ausschussmitgliedern nicht zuzustellen, sondern nur die Zusammenfassung. Allerdings wurde denjenigen Ausschuss-Mitgliedern, die dies wünschten, ermöglicht, den Bericht in den Räumen des Ausschuss-Sekretariats,wo der Bericht demonstrativ in einem Safe gelagert war, einzusehen. Kopiendurften dabei vom Bericht nicht gezogen werden. Von dieser zeitaufwendigen und umständlichen Möglichkeit,die den meisten Ausschussmitgliedern auch nicht bekannt war, machte nach meiner Kenntnisnur ich selbst Gebrauch. Entsprechend unterschiedlich waren die Möglichkeiten,auf der am 27. September stattfindenden Ausschuss-Debatte zum BrühlerUnglück - bei Anwesenheit des Verfassers des Untersuchungsberichts - zu diesem Themazu debattieren. Ganz offensichtlich konnten in der vierseitigen Zusammenfassung des Unfallberichtes diejenigen Informationen, die sich in dem 60-seitigen offiziellen Unfallbericht befinden, nur zu einem Bruchteil enthaltensein; eine ernsthafte und verantwortungsbewusste Debatte war auf dieser Grundlageschwer realisierbar. Es bleibt die Frage: Warum wurde der offizielle Untersuchungsberichtden Mitgliedern des Ausschusses nicht zugestellt? Die Behauptung, dabeisei der Datenschutz tangiert, der Bericht enthalte "personenbezogene Angaben",erwies sich als unhaltbar: Der offizielle Bericht enthält keine einzige personenbezogene Angabe. Vielmehr erweist sich der Bericht als einesehr detaillierte, gründliche und auch für Nichtfachleute lehrreicheUntersuchung des fraglichen Unglücks. In ihm finden sich auch keine Schuldzuweisungen;der Bericht ist in seinen Bewertungen und Beurteilungen ausgesprochen zurückhaltend. Allerdings sind die in dem Bericht festgehaltenenFakten es wert, erörtert zu werden. Da einem Abgeordneten, der sich bei einem derart öffentlichkeitswirksamen Bahnunfall zu dem Schritt entscheidet, in die Öffentlichkeit zugehen, leicht unterstellt werden kann, er betreibe Public Relation für seinePerson und auf Kosten der Bahn, sei hinzugefügt: Als jemand, der seit 15 Jahrenauf ein privates Auto verzichtet und der für seine persönliche Mobilitätund für seine dienstlich-politischen Termine fast ausschließlich die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, liegt mir ausschließlich daran, die Schienezu fördern. Denn Schaden entsteht der Bahn durch die mangelnde Transparenz undden wenig professionellen Umgang mit Eisenbahnunfällen wie demjenigen inBrühl. Ähnliches lässt sich zum Eschede-ICE-Unglück 1998 undzum Eisenbahnunglück in Neustadt bei Stadtallendorf (Hessen) 1997 sagen, zwei Unfälle,zu denen es bis heute keinen offiziellen Unfallbericht gibt. 2. Allgemeine Feststellung Der Untersuchungsbericht scheint auf den ersten Blick zu einem klarenErgebnis zu kommen. So heißt es: "Die Entgleisung des D 203 ist zweifelsfreiauf Übergeschwindigkeit im abzweigenden Gleisbogen der Weiche 48 desBahnhofs Brühl zurückzuführen. Hinweise auf andere Ursachen (z. B. Mängelan der Infrastruktur) haben sich nicht ergeben." Der Bericht erklärt detailliert, dass der Triebfahrzeugführerbei der Annäherung an das Einfahrtsignal A 2 des Bahnhofs Brühl korrektauf 38 km/h abbremste. Es wird darauf verwiesen, dass "im weiteren Fahrtverlaufauf das Einfahrsignal A 2 bis zum Ausfahrsignal N 3 kein weiteres Hauptsignal (folgte)". Und dass "nach dem Regelwerk der DB Netz AG . . . die Fahrtdurch den Bahnhof Brühl bis zum Ausfahrsignal mit höchstens 40km/h (hätte) fortgesetzt werden dürfen." Wie so oft steckt der Teufel im Detail - allerdings nur in den Detailsdes umfangreichen offiziellen Untersuchungsberichts. Ein erstes Beispiel:Nur in dieser "Langfassung" finden sich die Angaben dafür, dass der BahnhofBrühl die "Besonderheit" von zwei Bahnhofsteilen, dem Brühler Güterbahnhofund dem Brühler Personenbahnhof, aufweist, und dass zwischen beiden "Bahnhofsteilen" 2,5 km Strecke liegen, die überwiegend auf freier Strecke durchfahrenwerden. Im offiziellen Untersuchungsbericht finden sich noch viele weitereFakten, die die knappe Beschreibung der Unfall-Ursache zumindest zu relativierenscheinen. In jedem Fall lassen die hier wiedergegebenen Begleitumständeden Schluss zu, dass es keine singuläre Unfallursache gab. Darüberhinausfinden sich in dem Bericht viele beunruhigende Details, die einen problematischen Zustandder allgemeinen Sicherheitsstandards bei der Deutschen Bahn AG dokumentieren. 3. Ausbildung Eine Korrektur scheint der EBA-Bericht in Sachen Ausbildung des Triebwagenführers vorgenommen zu haben. In Abweichung von Aussagen,die in der zitierten ersten Debatte im Verkehrsausschuss getroffen wurden, heißtes nun im EBA-Bericht, die Ausbildung des Lokführers sei "ausreichend" gewesen.Er habe die Befähigung als Lokführer bei der privaten KölnerHafen- und Güterbahn erworben und nach der Übernahme bei der Deutschen Bahn AG im August1999 sich ausreichende zusätzliche Kenntnisse aneignen können, um imPersonenfernverkehr eingesetzt zu werden. Formal dürfte dies zutreffen. Der Widerspruch mit der diesbezüglichen EBA-Position in der ersten Debatte im Verkehrsausschuss ist allerdings offensichtlich; er wurde von einer Reihe Ausschussmitglieder moniert.Immerhin hatte in dieser ersten Debatte der EBA-Vertreter nicht nur bezweifelt,dass die Qualifikation des Lokführers ausreichend war. Er hatte vielmehr- ähnlich wie verschiedene mit dem Unglück befasste Journalisten - darauf verwiesen,dass der Triebfahrzeugführer Anfang der neunziger Jahre zwei Mal bei derPrüfung zum Lokführer bei der Deutschen Bundesbahn durchgefallen, dass seinEinsatz in dem erwähnten privaten Unternehmen nicht mit demjenigen im Fernverkehrder DB AG vergleichbar war und dass die Bahn im August 1999, als sich der fragliche Triebfahrzeugführer erneut bewarb, diesem keine Prüfung abverlangthatte. Man sollte sich dem Aspekt mit der Frage nähern: Würde dieLufthansa einen Piloten ohne Prüfung einstellen, der neun Jahre zuvor zwei Maldie Lufthansa-Prüfung als Pilot "schmiss" und zwischenzeitlich beieiner Cargo-Luftfahrtgesellschaft im regionalen Luftverkehr tätig war? Darüber hinaus, so wurde in dieser ersten Brühl-Debatte imVerkehrsausschuss publik, hatte im Sommer 1999 das bei der DB AG für Personalpolitik verantwortliche Vorstandsmitglied Föhr dem EBA mitgeteilt, dieDB AG wolle verschiedene, bisher im Rahmen der - ohnehin seit Anfang der neunzigerJahre zeitlich und inhaltlich stark reduzierten - Lokführer-Ausbildung vorgeschriebene Ausbildungskriterien nicht mehr erfüllen. Dazuzählte auch die praktischen Übung von "Falschfahrten" - Fahrten auf dem Gegengleisbei Gleiswechsel; exakt die Situation, bei der sich der Unfall in Brühlereignete. So schmallippig der EBA-Bericht inzwischen bei diesem Thema gehaltenist, auf Seite 52 wird dann dennoch auf Befremdliches verwiesen: Bei den Verantwortlichen der Bahn sei "offensichtlich (eine) Auffrischung der Kenntnisse (des fraglichen Triebfahrzeugführers) für erforderlichgehalten worden". In der Zeit zwischen 9.8. und 13.8. 2000 hätte laut Bahn-Unterlagen eine zusätzliche "Ausbildung im Betriebsdienst in Köln-Nippes"stattgefunden. Doch, "wie eine Überprüfung des EBA ergeben hat, erfolgteanstelle dieser Ausbildung ein Einsatz im Werkstattbereich". Darauf, dass das Fahrverhalten des Triebfahrzeugführers mit demkorrekten Abbremsen am Beginn der Baustelle und mit dem verfrühten Beschleunigennach dem Wechsel auf das Gegengleis auf eine unzureichende Ausbildung plus eine unzureichende Streckenkunde plus eine nicht absolvierte Ausbildungfür solche "Falschfahrten" zurückzuführen sein könnte, deutet eineandere Stelle im EBA-Bericht. Auf Seite 49 heißt es: "Der weitere Fahrverlauf"(nach dem korrekten Abbremsen auf Tempo 38 km/h; W.W.), "nämlich eine Beschleunigung, nachdem der Zug die Weiche 1 vollständig geräumt hatte, etwa300 m hinter dem Einfahrsignal des Bhf. Brühl Gbf, entspricht der Fahrweise, diebei Anwendung der Weichenbereichsregel bei AUSFAHRT aus einem Bahnhof zulässiggewesen wäre." Dies führt zurück zur bereits beschriebenen "Besonderheit"des "Bahnhofs Brühl", die von dem ehemaligen Bundesbahndirektor Eberhard Happeim Zusammenhang mit dem Brühler Unglück als "Lokführerfalle"bezeichnet worden war. 4. Verwechslungen, fehlende Abstimmung Zwei Dokumente sind für die Durchführung von Gleisbauarbeitenund für den laufenden Bahnbetrieb unter Bedingungen solcher Bauarbeiten entscheidend:Die "Bau- und Betriebsanleitung - Betra" und das "Verzeichnis der Langsamfahrstellen", die "La", wobei die Betra-Dokumente Grundlagender "La" sind. Ernüchternd stellt dazu der offizielle Unfallbericht (S. 26) fest:"Angesichts der Sicherheitsrelevanz fällt auf, dass die Betra zahlreiche sinnentstellende Fehler enthält", die auch dann als bedenklich zu bezeichnen seien,wenn sie nicht direkt mit dem Unglück in Verbindung stünden. Darüberhinaus heißt es dort (S. 32): Die "Betra wurde weder rechtzeitig aufgestellt noch fristgerecht verteilt". Nicht anders im Fall des zweiten, für die Sicherheit des Schienenverkehrs entscheidenden Dokuments, der "La". In diesem alle 14 Tage neu erstelltenHeft seien ausgerechnet die Bezeichnungen "Pbf" und "Gbf" "vertauscht worden"(S. 21 u. 26) - das heißt, die für die Besonderheit des BahnhofsBrühl entscheidenden Charakteristika waren umgekehrt dargestellt - statt des als erstespassierten Brühler Güterbahnhofs stand dort "Pbf". Und umgekehrt. Die bereits skizzierte Besonderheit des Brühler Bahnhofs und derdaraus resultierenden Problematik - Fahrt auf freier Strecke, obgleich esformell eine "Bahnhofsdurchfahrt" war und damit nach dem Regelwerk galt, die Geschwindigkeit 40 km/h einzuhalten - fließt wie folgt in den Bericht ein: Überdie geesamte Distanz zwischen Brühler Güterbahnhof und Brühler Personenbahnhofhabe es "keine Aktualisierung der aus dem Ersatzsignal abzuleitenden Geschwindigkeitsinformation 40 km/h" gegeben. Eine solche "Aktualisierung"aber wäre "möglicherweise hilfreich gewesen". Diese hätteden Triebwagenführer, der in diesem Streckenabschnitt beschleunigte, "stutzig gemacht" (S. 15u. S. 19). Es kommt noch schlimmer. In der "La", die von einem Sprecher der DBAG nach dem Unglück immerhin als die "Bibel des Lokführers" bezeichnetwurde, stand für das Gegengleis, das der Zug befuhr, ein Eintrag, der Tempo 120 km/h alszulässig angab - anstatt Tempo 40 km/h. Auf Seite 24 des EBA-Untersuchungsberichtsheißt es: "In Fahrtrichtung Köln-Koblenz enthält die La eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 km/h für das "durchgehendeHauptgleis der Gegenrichtung", Gleis 2 - also für das Gleis, auf dem der Lokführerauf exakt dieses Tempo 120 beschleunigte. Lapidar heißt es dazu im EBA-Bericht: Es gab "nicht den notwendigenAbgleich der getroffenen Anordnungen . . . Dazu zählt der offenkundigeWiderspruch zwischen dem Betra-Antrag, den Anweisungen im Abschnitt 3.1. (Fahrtauf Ersatzsignal nach Gleis 2 - 40 km/h) und den Angaben für die Laim Abschnitt 7 (Fahrt im durchgehenden Hauptgleis der Gegenrichtung (Gleis 2) 120km/h)". "Kein Abgleich" soll heißen, es gab in den zwei entscheidendenDokumenten für ein und dasselbe Gleis die zwei widersprüchlichen Informationen "Maximalgeschwindigkeit Tempo 40" (Betra) und Tempo 120 km/h (La).Dem Lokführer lag nur die La mit der falschen Angabe - Maximalgeschwindigkeit120 km/h vor. Die Betra ist allerdings "übergelagert", und die inder Betra festgelegte Geschwindigkeit von 40 km/h, die am Beginn der Baustelleauch signalisiert war, wäre - auch ohne Wiederholung - einzuhaltengewesen. 5. Technische Absicherung Der EBA-Untersuchungsbericht hält fest, dass der nicht allzu aufwendigeEinbau einer technischen Sicherung möglich gewesen wäre, mit dereine "Übergeschwindigkeit" nicht möglich gewesen wäre unddamit das Unglück nicht stattgefunden hätte. Dort heißt es auf S. 35: "Ein Einbaumöglicher, im Regelwerk jedoch nicht zwingend vorgeschriebener technischer Sicherungseinrichtungen im Gleisbereich, die gefährdende Geschwindigkeitsübertretungen ausgeschlossen hätten, erfolgtenicht." Technisch sei die Lok entsprechend ausgerüstet gewesen: "Das Triebfahrzeug101092-5 ist sowohl mit einer linienförmigen Zugbeeinflussungseinrichtung (LZB)als auch mit der punktförmigen Zugbeeinflussungseinrichtung (PZB) ausgestattet."(S. 42) In der Ausschussdebatte erklärte der EBA-Vertreter, dass auch dieKosten für eine solche Sicherungsmaßnahme - das Anbringen entsprechender Magnetenauf dem Gegengleis, mit denen bei überhöhter Geschwindigkeit eineZwangsabbremsung erfolgt wäre ("Indusi") - sich gemessen an den gesamten Kostender Baumaßnahme (Austausch einer Weiche) in einem mehr als akzeptablen Rahmen bewegthätte. 6. Vernichtende Kritik an Sicherheitsphilosophie Ausgesprochen versteckt finden sich im EBA-Bericht zwei Vermerke, diedie Alarmglocken schrillen lassen müssten. So heißt es lapidarauf Seite 19: Möglicherweise sei "Betra 80115" - die für die fraglicheBaumaßnahme entscheidende Bau- und Betriebsanleitung - "nicht entsprechend dergesetzlichen Verpflichtung, den Betrieb sicher zu führen", erstellt worden.Und auf Seite 35 wird nochmals deutlicher festgestellt: "Bei der Planung der Bauarbeitenblieb aus Sicht des EBA unberücksichtigt, dass die Signalanlagen desBf Brühl für 69 Zugfahrten ohne Hauptsignal der Richtung Köln-Koblenz nicht ausgelegtwar." Dort kämen "Fahrten auf Ersatzsignal allenfalls für einzelneZugfahrten bei unvorhergesehenen Störungen in Betracht". Das allerdings heißt im Klartext: In Brühl wurde aus Sichtdes EBA zwar nach dem Regelwerk korrekt verfahren. Doch dieses Regelwerk wird zumindestfür eine Baustelle des Charakters, wie in Brühl gegeben, der allgemeinengesetzlichen Verpflichtung, den "Betrieb sicher zu führen", nicht gerecht.Wer den Untersuchungsbericht im Detail studiert, müsste unter "Unfallursache"Folgendes vermerken: Vordergründige Ursache war überhöhte Geschwindigkeit.Doch bereits die Begleitumstände des Unfalls (Bahnhof Brühl = "Lokführerfalle",keine Aktualisierung des Geschwindigkeitslimits; explizit falsche Angabein der La) relativieren die persönliche Verantwortung des Triebfahrzeugführers. Darüber hinaus entspricht das Regelwerk der Bahn zumindest indreierlei Hinsicht nicht der gesetzlichen Anforderung nach Führung einessicheren Betriebs: 1. sind die Kriterien für die Ausbildung von Triebfahrzeugführernund deren Einstellung zu überprüfen und wieder anzuheben bzw. zu verbessern. 2. ist eine Betriebsführung "auf Ersatzsignal" für einenderart dichten Betrieb, wie er auf der fraglichen Strecke stattfindet, nicht zu verantworten. 3. müsste bei einer Baustelle wie der in Brühl gegebenenin jedem Fall die technisch mögliche Absicherung gegen ein Überschreiten der Maximalgeschwindigkeit erfolgen. Darüber hinaus drängen sich Schlussfolgerungen auf, die allgemeinererNatur sind. Eine erste betrifft den Umgang mit Unfällen wie demjenigen inBrühl. Zu fragen ist: Warum findet die Debatte über einen Unfallbericht wie denvorliegenden zu Brühl nicht öffentlich statt? Warum wird es dem EBA nichtermöglicht, als die entscheidende sachverständige Behörde von vornherein öffentlichRede und Antwort zu stehen? Damit wäre erheblich zu Versachlichung, Transparenzund damit letzten Endes zur Verbesserung der Sicherheit beigetragen worden.Man vergleiche die Geheimniskrämerei bei diesem Unfall und bei der Eschede-ICE-Katastrophe mit der professionellen Aufarbeitung der Concorde-Katastrophe im Juli 2000, wo die fachlich kompetenten britischenund französischen Gremien regelmäßig informierten und binnenweniger Wochen ein vorläufiger Untersuchungsbericht vorlag, der zu entscheidendenKonsequenzen führte. Eine zweite Schlussfolgerung betrifft die Personalknappheit bei derBahn auch in sicherheitsrelevanten Bereichen. Die unzureichende Ausbildung des Triebfahrzeugführers und die Unzahl sinnentstellender und immensgefährlicher Fehler in "Betra" und "La" haben auch mit dem unverantwortlichen Abbauvon Personal bei der Bahn und mit dem Aufbau von Stress in allen Sektoren(das Topmanagement möglicherweise ausgenommen) zu tun. Beispielsweisemüssen die Sachbearbeiter, die die Betras erstellen, pro Tag im Schnitt 5 bis6 solcher Bau- und Betriebsanleitungen fertigen. Es liegt hier einfach nahe,dass diese Dokumente oftmals nicht ausreichend auf die individuelle Baustelle zugeschnitten bzw. nicht mit der La abgestimmt werden. Drittens wäre zu debattieren, ob das Eisenbahnbundesamt personellüberhaupt in der Lage ist, wenigstens durch ausreichend viele Stichproben zur Sicherheitim Bahnbetrieb beizutragen. Die - negative - Antwort dazu wurde mit einerAnwort der Bundesregierung auf meine entsprechende Frage im Zusammenhang mitdem vorausgegangenen Unfall bei Stadtallendorf gegeben. Damals antwortetedas Bundesverkehrsministerium: "Bezogen auf einen 24-stündigen Eisenbahnbetriebund nach Abzug der Ausfallzeiten . . . steht je Bundesland rechnerischetwa 1 (EBA-)Mitarbeiter rund um die Uhr für Stichprobenkontrollen (41700 Streckenkilometer, 12 900 Betriebssstellen, 35 000 Züge je Tag)zur Verfügung" (Bundesdrucksache 13/8688). Seither wurden beim EBA weitere Stellen abgebaut, wenn auch nicht hinsichtlich der Stichproben im Außeneinsatz. Darüber hinaus steht dieseBehörde, die gerade für die Sicherheit einer Bahn auf Privatisierungskurs immens wichtigist, unter massivem Druck des Bundesverkehrsministeriums und des Top-Managementsder Deutschen Bahn selbst. Auf einer vorausgegangenen Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestags, am 26. 1. 2000, äußerteder damals neue Bahnchef Hartmut Mehdorn auf Fragen von Ausschussmitgliedern zum EBA:Hier handle es sich um "ein paar Eisenbahner, bei denen vergessen wurde,sie zu privatisieren". Die Zitate aus dem EBA-Untersuchungsbericht beruhen auf handschriftlicher Abschrift durch den Autor; kleinere Abweichungen vom Original sindmöglich. © Frankfurter Rundschau 2000
19.01.2001Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Brühler ZugunglückKöln (AP)Die Staatsanwaltschaft Köln hat gegen einen Lokführer unddrei weitere Bahnbedienstete Anklage beim Landgericht Köln wegen des schweren Zugunglücks von Brühlerhoben. Sprecherin Regine Appenrodt wollte am Freitag allerdings noch keine Einzelheiten nennen, da die Anklageschriftden Betroffenen erst zugestellt sein müsse. Bei dem Unglück im Bahnhof von Brühl bei Köln waren am6. Februar neun Menschen getötet und 149 Fahrgäste verletzt worden. Der Nachtexpress von Amsterdam nachBasel war an einer Weiche entgleist. Als Hauptschuldiger gilt bisher der 28-jährige Lokführer, dernach den Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Eisenbahn-Bundesamt an einer Baustelle zu früh wieder beschleunigthatte. Er war den Ermittlungen zufolge mit Tempo 122 durch den Bahnhof gerast, obwohl wegen Bauarbeiten nur40 Kilometer pro Stunde zugelassen waren. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht nur gegen den Lokführer ermittelt,sondern auch gegen eine Fahrdienstleisterin, die in der Unglücksnacht Dienst hatte, sowievier für die Vorschriften zur Durchfahrt der Baustelle verantwortliche Bahnangestellte. Es wurde geprüft, obdiese Mitschuld an dem Geschehen haben könnten. |