Unfall Brühl:Pressestimmen


Örtlichkeit | Unfallablauf| Schlussfolgerungen | Häufiggestellte Fragen | Abkürzungen und Fachbegriffe

Pressestimmen

PDF-Datei der Deutschen Bahn zur Pressekonferenzam 11.02.2000 (683 KB)
 

Presseerklärung des Eisenbahn-Bundesamtes

Bonn, den 18.02.2000

zum Eisenbahnunfall vom 06.02.2000 in Brühl

Das Eisenbahn-Bundesamt hat heute die Staatsanwaltschaft Köln überdie wesentlichen Ergebnisse seiner Unfalluntersuchung informiert.

Eine anfängliche Vermutung, dass der Lokführer des D 203 nurunzureichend ausgebildet gewesen sei, konnte nicht erhärtet werden.Offen bleibt, ob seine kurze Fahrpraxis im schnellen Reisezugverkehr aufden Eisenbahnstrecken des Bundes für das Unfallereignis begünstigendgewirkt hat.

Feststeht, dass die Filmaufnahmen, in denen über ein Langsamfahrsignalberichtet worden ist, mindestens 18 Stunden nach dem Unfall vom Sonntagentstanden sind. Diese Aufnahmen bilden daher keine zuverlässige Grundlagefür eine Ursachenermittlung.

Durch Auswertung technischer Aufzeichnungen konnten Vermutungen, dassvor dem Unglück Züge regelwidrig durch Gleis 2 des BahnhofteilsBrühl Personenbahnhof geleitet wurden, widerlegt werden.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass in der Bau- und Betriebsanweisung(Betra) für die Durchführung des Zugverkehrs während derBauarbeiten verschiedene Mängel enthalten waren. Dabei handelt essich in keinem Fall um einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften,sondern um Abweichungen vom unternehmenseigenen Regelwerk und Schreibfehler.Inwieweit diese zum Unfallereignis kausal beigetragen haben, wird von derStaatsanwaltschaft Köln geklärt, die die weiteren Untersuchungenführt.


Bahnfahren ist weiterhin sicher

Eisenbahner Rundschau, März 2000

Das sicherste Verkehrsmittel ist Deutschland ist statistisch gesehendie Bahn. Wer sich in sein Auto setzt, um an ein bestimmtes Ziel zu kommen,muß etwa zehn Mal häufiger mit einem tödlichen Unfall rechnenals im Zug. (...) Beide Verkehrsträger werden dabei immer sicherer.Für die Bahn gilt dies fast durchgehend seit der Nachkriegszeit. ImStraßenverkehr stieg das Risiko wegen des Autobooms bis etwa 1970zunächst an, seither sinkt die Zahl der Opfer wieder. (...)

Laut Statistischem Bundesamt starben je Milliarden Personenkilometer1997 statistisch 0,8 Bahnreisende, aber 7,7 Menschen auf der Straße.Diese Zahl umfaßt auch die recht sicheren Busse und Straßenbahnen,im Auto ist das Unfallrisiko noch höher. Die Flugzeuge liegen mit2,1 Toten je Milliarde Personenkilometer dazwischen. (...)

Im Jahr 1996 sah der Vergleich noch günstiger für die Bahnaus, im Eschede-Jahr 1998 dagegen schlechter. Mit 6,9 gegenüber 1,8Toten je Milliarde Personenkilometer war das Risiko auf der Straßeaber immer noch fast vier Mal so hoch wie auf der Schiene.



27.06.2000

Eisenbahnbundesamt kreidet Bahn Versäumnisse bei Brühl-Unfallan

Frankfurt/Main (AP)

Das Eisenbahn-Bundesamt hat in seinem Untersuchungsgericht zum Zugunglückvon Brühl der Deutsche Bahn AG zahlreiche Mängel und Versäumnissebescheinigt, wie die «Frankfurter Rundschau» berichtet. Sosei die Signalgebung in vier Punkten unzureichend gewesen, zitiert dieZeitung in ihrer Mittwochausgabe aus dem Gutachten der Aufsichtsbehörde.Der Lokführer sei zudem nicht für einen Einsatz als Streckenlokführergeschult gewesen. Auch in Änderungen des DB-Regelwerks, die 1999 inKraft getreten seien, sei er nicht unterrichtet worden. Mit Fahrten imGleichwechselbetrieb wie bei den Bauarbeiten am Bahnhof in Brühl seider Mann daher nicht vertraut gewesen.

Bei dem Unfall waren am 6. Februar neun Menschen getötet und 149Fahrgäste verletzt worden. Der Nachtexpress war an einer Weiche entgleist,weil der Lokführer an einer Baustelle zu früh wieder beschleunigthatte. Die «Frankfurter Rundschau» schreibt weiter, die zuständigeStaatsanwaltschaft Köln habe das Eisenbahn-Bundesamt in entscheidendenPunkten falsch zitiert. So habe die Staatsanwaltschaft Ende April in einerPresseerklärung unter Berufung auf das EBA geschrieben, die Signalgebung,die die Langsamfahrt von der Baustelle durch den Bahnhof vorgeschriebenhabe, sei regelrecht gewesen. Zur Qualifikation des Lokführers erklärtedie Ermittlungsbehörde den Angaben der Zeitung zufolge, der Mann habe«eine mit DB-Lokführern vergleichbare Ausbildung bei einer nichtbundeseigenenEisenbahn durchlaufen und eine dem Regelwerk der DB AG entsprechende Prüfungabgelegt, so dass eine erneute Prüfung entbehrlich gewesen sei».


Ungereimtheiten und Fehler in der Bibel der Lokführer

Frankfurter Rundschau, 11.10.2000

Das Eisenbahnunglück von Brühl, die Frage nach der Schuldund die
Geheimniskrämerei um den Untersuchungsbericht / Eine Analyse vonWinfried Wolf 
Der offizielle Untersuchungsbericht des Eisenbahnbundesamtes (EBA)zum schweren
Eisenbahnunglück in Brühl vom 6. 2. 2000 liegt seit dem 20.April 2000 vor.
Doch die parlamentarische und öffentliche Debatte über diesenBericht findet
nicht statt - weil "gemauert" wird. Dabei enthält der Untersuchungsberichtdrei
entscheidende Botschaften: 1. Der Lokführer hat nicht, wie ursprünglichu. a.
von Bahnchef Mehdorn behauptet, die Alleinschuld. 2. Die Begleitumständedes
Unglücks lassen den Schluss zu, dass bisher gültige Sicherheitsstandardsbei
der Bahn ernsthaft in Frage stehen. 3. Das EBA als offizielle
Sicherheitsbehörde ist mit seiner personellen Ausstattung nichtin der Lage,
die Sicherheit im Schienenverkehr ausreichend zu kontrollieren. Zudiesem
Ergebnis kommt Winfried Wolf, verkehrspolitischer Sprecher der PDSim Bundestag
und ihr Obmann im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.Er hat den
Untersuchungsbericht eingesehen. Wir dokumentieren seine Analyse desPapiers im
Wortlaut. 
In der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 2000 fuhr der D-Zug 203 mit201
Fahrgästen fahrplanmäßig von Amsterdam nach Basel.Nach dem Halt in
Köln-Hauptbahnhof wurde der Zug wenige Kilometer vor Bonn im GüterbahnhofBrühl
wegen Bauarbeiten auf dem Richtungsgleis über eine Weiche aufdas Gegengleis
umgeleitet. Er durchfuhr die Weiche und den Baustellenbereich mit dem
vorgeschriebenen Tempo von 40 km/h. Kurz danach, auf dem Gegengleis,
beschleunigte der Lokführer bis auf Tempo 120 Kilometer pro Stunde,obgleich
weiter eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 km/h galt. Im Personenbahnhof
Brühl sollte der Zug über eine weitere Weiche auf das östlichereGleis 3 (das
Überholgleis innerhalb des Bahnhofs Brühl) umgeleitet werden.Der Grund dafür
war, dass nur über Gleis 3 eine signaltechnisch gesicherte Ausfahrtauf das
Streckengleis Brühl-Sechtem möglich war.
Doch für die neuerliche Weichen-Umleitung wies der D 203 mit 122km/h eine viel
zu hohe Geschwindigkeit auf; technisch möglich wäre ca. Tempo66 km/h gewesen.
Der Zug entgleiste; die Lok und mehrere Wagen stürzten die Böschunghinunter,
wobei die Lok gegen ein Wohnhaus prallte. Zwei Sitzwagen stellten sichquer und
prallten gegen die Überdachung des Bahnsteiges zwischen Gleis2 und 3. Neun
Reisende wurden getötet, 148 wurden - zum Teil schwer - verletzt.Der insgesamt
entstandene Sachschaden wird auf 50 Millionen Mark geschätzt. 
Der immaterielle Schaden, der der Deutschen Bahn AG entstand, ist nicht
abschätzbar. Tatsache allerdings ist, dass sich nur eineinhalbJahre nach der
Eisenbahnkatastrophe von Eschede ein weiteres spektakuläres Eisenbahn-Unglück
ereignete, bei dem die Zahl der Getöteten nur durch glücklicheUmstände relativ
beschränkt blieb.
1. Untersuchungsbericht des Eisenbahn-Bundesamtes
Das Eisenbahnbundesamt (EBA) hat als die Behörde, die seit derBahnreform 1994
für die Sicherheit im Eisenbahnverkehr zuständig ist, wenigeStunden nach dem
Unglück die Untersuchungen am Unglücksort begonnen. Nachumfangreichen
Gesprächen und Vernehmungen mit Beteiligten, welche die StaatsanwaltschaftKöln
zusammen mit dem EBA durchgeführte, erstellte die Behördebis April 2000 den
offiziellen Untersuchungsbericht. Dieser wurde mit der beauftragten
Staatsanwaltschaft und mit dem Vorstand der Deutschen Bahn AG abgestimmtund
schließlich am 20. April 2000 in seine endgültige Fassunggebracht.
Im Bundestagsausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hattees eine erste
Diskussion zu dem Unglück am 16. Februar bei Anwesenheit von BahnchefHartmut
Mehdorn und dem Vertreter des Eisenbahnbundesamtes, Hans-Heinrich Grauf,
gegeben. Diese Erörterung erfolgte gemäß einer seitlanger Zeit praktizierten
Tradition, wonach der zuständige Fachausschuss des Deutschen Bundestagessich
mit bedeutenden Verkehrsunfällen (zur See, auf Schienen, auf Straßenoder im
Flugverkehr) befasst - insbesondere mit der Zielsetzung, daraus Folgerungenfür
eine verbesserte Verkehrssicherheit zu ziehen.
In der fraglichen Ausschuss-Debatte zum Brühler Unglück am16. Februar traten
erhebliche Konflikte zwischen Mehdorn und dem EBA-Vertreter zu Tage.In dieser
Sitzung hatte der EBA-Vertreter die unzureichende Ausbildung des Lokführers
hervorgehoben; Mehdorn wiederum hatte sich vor dem Ausschuß vomEBA "die
Einmischung in ein laufendes Verfahren" verbeten, was von einer großenAnzahl
von Ausschussmitgliedern aus unterschiedlichen Fraktionen gerügtworden war.
Alle Parteien und der Ausschussvorsitzende Eduard Oswald waren sichnach dieser
ersten Erörterung einig, eine abschließende Diskussion überdieses
Eisenbahnunglück dann führen zu wollen, wenn der offizielle
Untersuchungsbericht vorliegen würde.
Als der Bericht zwei Monate später erstellt war, kam es jedochzu
unterschiedlichen Auffassungen über die Frage, inwieweit dieserBericht allen
Mitgliedern des Verkehrsausschusses zugänglich gemacht werdenkönnte. U. a.
wurde eingewandt, der Bericht enthalte "personenbezogene Daten", dieeiner
Weitergabe an alle Ausschussmitglieder im Wege stünden.
Am 11. Juli 2000 teilte der mit der Untersuchung beauftragte Staatsanwalt
Krautkremer von der Staatsanwaltschaft Köln gegenüber Hans-HeinrichGrauf vom
EBA mit: "Gegen eine Weiterleitung Ihres Untersuchungsberichts an die
Mitglieder des Deutschen Bundestages bestehen hier keine Bedenken."Dennoch kam
es nicht zu einer solchen Weiterleitung an die Ausschussmitglieder.Stattdessen
wurde das EBA beauftragt, eine "Kurzfassung" des Berichtes zu erstellen.
Selbige wurde nach der parlamentarischen Sommerpause vorgelegt undden in
diesem Ausschuss vertretenen Bundestagsabgeordneten zugestellt. 
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen teiltemit Schreiben
vom 13. 9. 2000 an den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, EduardOswald,
mit, dass "das Eisenbahn-Bundesamt . . . eine inhaltliche Zusammenfassung
seines Untersuchungsberichts zur Entgleisung des D 203 im Bahnhof Brühl
. . . vorgelegt" habe, "die keine personenbezogenen Daten oder Informationen
enthält. Diesen Bericht lege ich Ihnen für die Mitgliederdes Ausschusses . . .
wunschgemäß vor." Das Schreiben, unterzeichnet vom parlamentarischen
Staatssekretär Kurt Bodewig, enthielt auch die Mitteilung, wonach"ich Sie
gleichzeitig darauf aufmerksam (mache), dass die StaatsanwaltschaftKöln auf
Nachfrage bestätigt hat, sie habe keine Bedenken, den Untersuchungsberichtvom
20. April den Ausschussmitgliedern zur Verfügung zu stellen."
Die Obleute (Vertreter der vier Bundestagsfraktionen) des Ausschusses
entschieden mehrheitlich, den umfassenden Untersuchungsbericht den
Ausschussmitgliedern nicht zuzustellen, sondern nur die Zusammenfassung.
Allerdings wurde denjenigen Ausschuss-Mitgliedern, die dies wünschten,
ermöglicht, den Bericht in den Räumen des Ausschuss-Sekretariats,wo der
Bericht demonstrativ in einem Safe gelagert war, einzusehen. Kopiendurften
dabei vom Bericht nicht gezogen werden. 
Von dieser zeitaufwendigen und umständlichen Möglichkeit,die den meisten
Ausschussmitgliedern auch nicht bekannt war, machte nach meiner Kenntnisnur
ich selbst Gebrauch. Entsprechend unterschiedlich waren die Möglichkeiten,auf
der am 27. September stattfindenden Ausschuss-Debatte zum BrühlerUnglück - bei
Anwesenheit des Verfassers des Untersuchungsberichts - zu diesem Themazu
debattieren. Ganz offensichtlich konnten in der vierseitigen Zusammenfassung
des Unfallberichtes diejenigen Informationen, die sich in dem 60-seitigen
offiziellen Unfallbericht befinden, nur zu einem Bruchteil enthaltensein; eine
ernsthafte und verantwortungsbewusste Debatte war auf dieser Grundlageschwer
realisierbar. 
Es bleibt die Frage: Warum wurde der offizielle Untersuchungsberichtden
Mitgliedern des Ausschusses nicht zugestellt? Die Behauptung, dabeisei der
Datenschutz tangiert, der Bericht enthalte "personenbezogene Angaben",erwies
sich als unhaltbar: Der offizielle Bericht enthält keine einzige
personenbezogene Angabe. Vielmehr erweist sich der Bericht als einesehr
detaillierte, gründliche und auch für Nichtfachleute lehrreicheUntersuchung
des fraglichen Unglücks. In ihm finden sich auch keine Schuldzuweisungen;der
Bericht ist in seinen Bewertungen und Beurteilungen ausgesprochen
zurückhaltend. Allerdings sind die in dem Bericht festgehaltenenFakten es
wert, erörtert zu werden. 
Da einem Abgeordneten, der sich bei einem derart öffentlichkeitswirksamen
Bahnunfall zu dem Schritt entscheidet, in die Öffentlichkeit zugehen, leicht
unterstellt werden kann, er betreibe Public Relation für seinePerson und auf
Kosten der Bahn, sei hinzugefügt: Als jemand, der seit 15 Jahrenauf ein
privates Auto verzichtet und der für seine persönliche Mobilitätund für seine
dienstlich-politischen Termine fast ausschließlich die öffentlichen
Verkehrsmittel nutzt, liegt mir ausschließlich daran, die Schienezu fördern.
Denn Schaden entsteht der Bahn durch die mangelnde Transparenz undden wenig
professionellen Umgang mit Eisenbahnunfällen wie demjenigen inBrühl. 
Ähnliches lässt sich zum Eschede-ICE-Unglück 1998 undzum Eisenbahnunglück in
Neustadt bei Stadtallendorf (Hessen) 1997 sagen, zwei Unfälle,zu denen es bis
heute keinen offiziellen Unfallbericht gibt.
2. Allgemeine Feststellung
Der Untersuchungsbericht scheint auf den ersten Blick zu einem klarenErgebnis
zu kommen. So heißt es: "Die Entgleisung des D 203 ist zweifelsfreiauf
Übergeschwindigkeit im abzweigenden Gleisbogen der Weiche 48 desBahnhofs Brühl
zurückzuführen. Hinweise auf andere Ursachen (z. B. Mängelan der
Infrastruktur) haben sich nicht ergeben."
Der Bericht erklärt detailliert, dass der Triebfahrzeugführerbei der
Annäherung an das Einfahrtsignal A 2 des Bahnhofs Brühl korrektauf 38 km/h
abbremste. Es wird darauf verwiesen, dass "im weiteren Fahrtverlaufauf das
Einfahrsignal A 2 bis zum Ausfahrsignal N 3 kein weiteres Hauptsignal
(folgte)". Und dass "nach dem Regelwerk der DB Netz AG . . . die Fahrtdurch
den Bahnhof Brühl bis zum Ausfahrsignal mit höchstens 40km/h (hätte)
fortgesetzt werden dürfen." 
Wie so oft steckt der Teufel im Detail - allerdings nur in den Detailsdes
umfangreichen offiziellen Untersuchungsberichts. Ein erstes Beispiel:Nur in
dieser "Langfassung" finden sich die Angaben dafür, dass der BahnhofBrühl die
"Besonderheit" von zwei Bahnhofsteilen, dem Brühler Güterbahnhofund dem
Brühler Personenbahnhof, aufweist, und dass zwischen beiden "Bahnhofsteilen"
2,5 km Strecke liegen, die überwiegend auf freier Strecke durchfahrenwerden.
Im offiziellen Untersuchungsbericht finden sich noch viele weitereFakten, die
die knappe Beschreibung der Unfall-Ursache zumindest zu relativierenscheinen.
In jedem Fall lassen die hier wiedergegebenen Begleitumständeden Schluss zu,
dass es keine singuläre Unfallursache gab. Darüberhinausfinden sich in dem
Bericht viele beunruhigende Details, die einen problematischen Zustandder
allgemeinen Sicherheitsstandards bei der Deutschen Bahn AG dokumentieren.
3. Ausbildung
Eine Korrektur scheint der EBA-Bericht in Sachen Ausbildung des
Triebwagenführers vorgenommen zu haben. In Abweichung von Aussagen,die in der
zitierten ersten Debatte im Verkehrsausschuss getroffen wurden, heißtes nun im
EBA-Bericht, die Ausbildung des Lokführers sei "ausreichend" gewesen.Er habe
die Befähigung als Lokführer bei der privaten KölnerHafen- und Güterbahn
erworben und nach der Übernahme bei der Deutschen Bahn AG im August1999 sich
ausreichende zusätzliche Kenntnisse aneignen können, um imPersonenfernverkehr
eingesetzt zu werden.
Formal dürfte dies zutreffen. Der Widerspruch mit der diesbezüglichen
EBA-Position in der ersten Debatte im Verkehrsausschuss ist allerdings
offensichtlich; er wurde von einer Reihe Ausschussmitglieder moniert.Immerhin
hatte in dieser ersten Debatte der EBA-Vertreter nicht nur bezweifelt,dass die
Qualifikation des Lokführers ausreichend war. Er hatte vielmehr- ähnlich wie
verschiedene mit dem Unglück befasste Journalisten - darauf verwiesen,dass der
Triebfahrzeugführer Anfang der neunziger Jahre zwei Mal bei derPrüfung zum
Lokführer bei der Deutschen Bundesbahn durchgefallen, dass seinEinsatz in dem
erwähnten privaten Unternehmen nicht mit demjenigen im Fernverkehrder DB AG
vergleichbar war und dass die Bahn im August 1999, als sich der fragliche
Triebfahrzeugführer erneut bewarb, diesem keine Prüfung abverlangthatte. 
Man sollte sich dem Aspekt mit der Frage nähern: Würde dieLufthansa einen
Piloten ohne Prüfung einstellen, der neun Jahre zuvor zwei Maldie
Lufthansa-Prüfung als Pilot "schmiss" und zwischenzeitlich beieiner
Cargo-Luftfahrtgesellschaft im regionalen Luftverkehr tätig war?
Darüber hinaus, so wurde in dieser ersten Brühl-Debatte imVerkehrsausschuss
publik, hatte im Sommer 1999 das bei der DB AG für Personalpolitik
verantwortliche Vorstandsmitglied Föhr dem EBA mitgeteilt, dieDB AG wolle
verschiedene, bisher im Rahmen der - ohnehin seit Anfang der neunzigerJahre
zeitlich und inhaltlich stark reduzierten - Lokführer-Ausbildung
vorgeschriebene Ausbildungskriterien nicht mehr erfüllen. Dazuzählte auch die
praktischen Übung von "Falschfahrten" - Fahrten auf dem Gegengleisbei
Gleiswechsel; exakt die Situation, bei der sich der Unfall in Brühlereignete.
So schmallippig der EBA-Bericht inzwischen bei diesem Thema gehaltenist, auf
Seite 52 wird dann dennoch auf Befremdliches verwiesen: Bei den
Verantwortlichen der Bahn sei "offensichtlich (eine) Auffrischung der
Kenntnisse (des fraglichen Triebfahrzeugführers) für erforderlichgehalten
worden". In der Zeit zwischen 9.8. und 13.8. 2000 hätte laut Bahn-Unterlagen
eine zusätzliche "Ausbildung im Betriebsdienst in Köln-Nippes"stattgefunden.
Doch, "wie eine Überprüfung des EBA ergeben hat, erfolgteanstelle dieser
Ausbildung ein Einsatz im Werkstattbereich". 
Darauf, dass das Fahrverhalten des Triebfahrzeugführers mit demkorrekten
Abbremsen am Beginn der Baustelle und mit dem verfrühten Beschleunigennach dem
Wechsel auf das Gegengleis auf eine unzureichende Ausbildung plus eine
unzureichende Streckenkunde plus eine nicht absolvierte Ausbildungfür solche
"Falschfahrten" zurückzuführen sein könnte, deutet eineandere Stelle im
EBA-Bericht. Auf Seite 49 heißt es: "Der weitere Fahrverlauf"(nach dem
korrekten Abbremsen auf Tempo 38 km/h; W.W.), "nämlich eine Beschleunigung,
nachdem der Zug die Weiche 1 vollständig geräumt hatte, etwa300 m hinter dem
Einfahrsignal des Bhf. Brühl Gbf, entspricht der Fahrweise, diebei Anwendung
der Weichenbereichsregel bei AUSFAHRT aus einem Bahnhof zulässiggewesen wäre."
Dies führt zurück zur bereits beschriebenen "Besonderheit"des "Bahnhofs
Brühl", die von dem ehemaligen Bundesbahndirektor Eberhard Happeim
Zusammenhang mit dem Brühler Unglück als "Lokführerfalle"bezeichnet worden
war.
4. Verwechslungen, fehlende Abstimmung
Zwei Dokumente sind für die Durchführung von Gleisbauarbeitenund für den
laufenden Bahnbetrieb unter Bedingungen solcher Bauarbeiten entscheidend:Die
"Bau- und Betriebsanleitung - Betra" und das "Verzeichnis der
Langsamfahrstellen", die "La", wobei die Betra-Dokumente Grundlagender "La"
sind.
Ernüchternd stellt dazu der offizielle Unfallbericht (S. 26) fest:"Angesichts
der Sicherheitsrelevanz fällt auf, dass die Betra zahlreiche sinnentstellende
Fehler enthält", die auch dann als bedenklich zu bezeichnen seien,wenn sie
nicht direkt mit dem Unglück in Verbindung stünden. Darüberhinaus heißt es
dort (S. 32): Die "Betra wurde weder rechtzeitig aufgestellt noch fristgerecht
verteilt".
Nicht anders im Fall des zweiten, für die Sicherheit des Schienenverkehrs
entscheidenden Dokuments, der "La". In diesem alle 14 Tage neu erstelltenHeft
seien ausgerechnet die Bezeichnungen "Pbf" und "Gbf" "vertauscht worden"(S. 21
u. 26) - das heißt, die für die Besonderheit des BahnhofsBrühl entscheidenden
Charakteristika waren umgekehrt dargestellt - statt des als erstespassierten
Brühler Güterbahnhofs stand dort "Pbf". Und umgekehrt.
Die bereits skizzierte Besonderheit des Brühler Bahnhofs und derdaraus
resultierenden Problematik - Fahrt auf freier Strecke, obgleich esformell eine
"Bahnhofsdurchfahrt" war und damit nach dem Regelwerk galt, die Geschwindigkeit
40 km/h einzuhalten - fließt wie folgt in den Bericht ein: Überdie geesamte
Distanz zwischen Brühler Güterbahnhof und Brühler Personenbahnhofhabe es
"keine Aktualisierung der aus dem Ersatzsignal abzuleitenden
Geschwindigkeitsinformation 40 km/h" gegeben. Eine solche "Aktualisierung"aber
wäre "möglicherweise hilfreich gewesen". Diese hätteden Triebwagenführer, der
in diesem Streckenabschnitt beschleunigte, "stutzig gemacht" (S. 15u. S. 19).
Es kommt noch schlimmer. In der "La", die von einem Sprecher der DBAG nach dem
Unglück immerhin als die "Bibel des Lokführers" bezeichnetwurde, stand für das
Gegengleis, das der Zug befuhr, ein Eintrag, der Tempo 120 km/h alszulässig
angab - anstatt Tempo 40 km/h. Auf Seite 24 des EBA-Untersuchungsberichtsheißt
es: "In Fahrtrichtung Köln-Koblenz enthält die La eine
Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 km/h für das "durchgehendeHauptgleis der
Gegenrichtung", Gleis 2 - also für das Gleis, auf dem der Lokführerauf exakt
dieses Tempo 120 beschleunigte.
Lapidar heißt es dazu im EBA-Bericht: Es gab "nicht den notwendigenAbgleich
der getroffenen Anordnungen . . . Dazu zählt der offenkundigeWiderspruch
zwischen dem Betra-Antrag, den Anweisungen im Abschnitt 3.1. (Fahrtauf
Ersatzsignal nach Gleis 2 - 40 km/h) und den Angaben für die Laim Abschnitt 7
(Fahrt im durchgehenden Hauptgleis der Gegenrichtung (Gleis 2) 120km/h)".
"Kein Abgleich" soll heißen, es gab in den zwei entscheidendenDokumenten für
ein und dasselbe Gleis die zwei widersprüchlichen Informationen
"Maximalgeschwindigkeit Tempo 40" (Betra) und Tempo 120 km/h (La).Dem
Lokführer lag nur die La mit der falschen Angabe - Maximalgeschwindigkeit120
km/h vor. Die Betra ist allerdings "übergelagert", und die inder Betra
festgelegte Geschwindigkeit von 40 km/h, die am Beginn der Baustelleauch
signalisiert war, wäre - auch ohne Wiederholung - einzuhaltengewesen.
5. Technische Absicherung
Der EBA-Untersuchungsbericht hält fest, dass der nicht allzu aufwendigeEinbau
einer technischen Sicherung möglich gewesen wäre, mit dereine
"Übergeschwindigkeit" nicht möglich gewesen wäre unddamit das Unglück nicht
stattgefunden hätte. Dort heißt es auf S. 35: "Ein Einbaumöglicher, im
Regelwerk jedoch nicht zwingend vorgeschriebener technischer
Sicherungseinrichtungen im Gleisbereich, die gefährdende
Geschwindigkeitsübertretungen ausgeschlossen hätten, erfolgtenicht." Technisch
sei die Lok entsprechend ausgerüstet gewesen: "Das Triebfahrzeug101092-5 ist
sowohl mit einer linienförmigen Zugbeeinflussungseinrichtung (LZB)als auch mit
der punktförmigen Zugbeeinflussungseinrichtung (PZB) ausgestattet."(S. 42) In
der Ausschussdebatte erklärte der EBA-Vertreter, dass auch dieKosten für eine
solche Sicherungsmaßnahme - das Anbringen entsprechender Magnetenauf dem
Gegengleis, mit denen bei überhöhter Geschwindigkeit eineZwangsabbremsung
erfolgt wäre ("Indusi") - sich gemessen an den gesamten Kostender Baumaßnahme
(Austausch einer Weiche) in einem mehr als akzeptablen Rahmen bewegthätte.
6. Vernichtende Kritik an Sicherheitsphilosophie
Ausgesprochen versteckt finden sich im EBA-Bericht zwei Vermerke, diedie
Alarmglocken schrillen lassen müssten. So heißt es lapidarauf Seite 19:
Möglicherweise sei "Betra 80115" - die für die fraglicheBaumaßnahme
entscheidende Bau- und Betriebsanleitung - "nicht entsprechend dergesetzlichen
Verpflichtung, den Betrieb sicher zu führen", erstellt worden.Und auf Seite 35
wird nochmals deutlicher festgestellt: "Bei der Planung der Bauarbeitenblieb
aus Sicht des EBA unberücksichtigt, dass die Signalanlagen desBf Brühl für 69
Zugfahrten ohne Hauptsignal der Richtung Köln-Koblenz nicht ausgelegtwar."
Dort kämen "Fahrten auf Ersatzsignal allenfalls für einzelneZugfahrten bei
unvorhergesehenen Störungen in Betracht".
Das allerdings heißt im Klartext: In Brühl wurde aus Sichtdes EBA zwar nach
dem Regelwerk korrekt verfahren. Doch dieses Regelwerk wird zumindestfür eine
Baustelle des Charakters, wie in Brühl gegeben, der allgemeinengesetzlichen
Verpflichtung, den "Betrieb sicher zu führen", nicht gerecht.Wer den
Untersuchungsbericht im Detail studiert, müsste unter "Unfallursache"Folgendes
vermerken:
Vordergründige Ursache war überhöhte Geschwindigkeit.Doch bereits die
Begleitumstände des Unfalls (Bahnhof Brühl = "Lokführerfalle",keine
Aktualisierung des Geschwindigkeitslimits; explizit falsche Angabein der La)
relativieren die persönliche Verantwortung des Triebfahrzeugführers. 
Darüber hinaus entspricht das Regelwerk der Bahn zumindest indreierlei
Hinsicht nicht der gesetzlichen Anforderung nach Führung einessicheren
Betriebs: 
1. sind die Kriterien für die Ausbildung von Triebfahrzeugführernund deren
Einstellung zu überprüfen und wieder anzuheben bzw. zu verbessern. 
2. ist eine Betriebsführung "auf Ersatzsignal" für einenderart dichten
Betrieb, wie er auf der fraglichen Strecke stattfindet, nicht zu verantworten. 
3. müsste bei einer Baustelle wie der in Brühl gegebenenin jedem Fall die
technisch mögliche Absicherung gegen ein Überschreiten der
Maximalgeschwindigkeit erfolgen.
Darüber hinaus drängen sich Schlussfolgerungen auf, die allgemeinererNatur
sind.
Eine erste betrifft den Umgang mit Unfällen wie demjenigen inBrühl. Zu fragen
ist: Warum findet die Debatte über einen Unfallbericht wie denvorliegenden zu
Brühl nicht öffentlich statt? Warum wird es dem EBA nichtermöglicht, als die
entscheidende sachverständige Behörde von vornherein öffentlichRede und
Antwort zu stehen? Damit wäre erheblich zu Versachlichung, Transparenzund
damit letzten Endes zur Verbesserung der Sicherheit beigetragen worden.Man
vergleiche die Geheimniskrämerei bei diesem Unfall und bei der
Eschede-ICE-Katastrophe mit der professionellen Aufarbeitung der
Concorde-Katastrophe im Juli 2000, wo die fachlich kompetenten britischenund
französischen Gremien regelmäßig informierten und binnenweniger Wochen ein
vorläufiger Untersuchungsbericht vorlag, der zu entscheidendenKonsequenzen
führte.
Eine zweite Schlussfolgerung betrifft die Personalknappheit bei derBahn auch
in sicherheitsrelevanten Bereichen. Die unzureichende Ausbildung des
Triebfahrzeugführers und die Unzahl sinnentstellender und immensgefährlicher
Fehler in "Betra" und "La" haben auch mit dem unverantwortlichen Abbauvon
Personal bei der Bahn und mit dem Aufbau von Stress in allen Sektoren(das
Topmanagement möglicherweise ausgenommen) zu tun. Beispielsweisemüssen die
Sachbearbeiter, die die Betras erstellen, pro Tag im Schnitt 5 bis6 solcher
Bau- und Betriebsanleitungen fertigen. Es liegt hier einfach nahe,dass diese
Dokumente oftmals nicht ausreichend auf die individuelle Baustelle
zugeschnitten bzw. nicht mit der La abgestimmt werden.
Drittens wäre zu debattieren, ob das Eisenbahnbundesamt personellüberhaupt in
der Lage ist, wenigstens durch ausreichend viele Stichproben zur Sicherheitim
Bahnbetrieb beizutragen. Die - negative - Antwort dazu wurde mit einerAnwort
der Bundesregierung auf meine entsprechende Frage im Zusammenhang mitdem
vorausgegangenen Unfall bei Stadtallendorf gegeben. Damals antwortetedas
Bundesverkehrsministerium: "Bezogen auf einen 24-stündigen Eisenbahnbetriebund
nach Abzug der Ausfallzeiten . . . steht je Bundesland rechnerischetwa 1
(EBA-)Mitarbeiter rund um die Uhr für Stichprobenkontrollen (41700
Streckenkilometer, 12 900 Betriebssstellen, 35 000 Züge je Tag)zur Verfügung"
(Bundesdrucksache 13/8688).
Seither wurden beim EBA weitere Stellen abgebaut, wenn auch nicht hinsichtlich
der Stichproben im Außeneinsatz. Darüber hinaus steht dieseBehörde, die gerade
für die Sicherheit einer Bahn auf Privatisierungskurs immens wichtigist, unter
massivem Druck des Bundesverkehrsministeriums und des Top-Managementsder
Deutschen Bahn selbst. Auf einer vorausgegangenen Sitzung des
Verkehrsausschusses des Bundestags, am 26. 1. 2000, äußerteder damals neue
Bahnchef Hartmut Mehdorn auf Fragen von Ausschussmitgliedern zum EBA:Hier
handle es sich um "ein paar Eisenbahner, bei denen vergessen wurde,sie zu
privatisieren".
Die Zitate aus dem EBA-Untersuchungsbericht beruhen auf handschriftlicher
Abschrift durch den Autor; kleinere Abweichungen vom Original sindmöglich.

© Frankfurter Rundschau 2000



19.01.2001

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Brühler Zugunglück

Köln (AP)

Die Staatsanwaltschaft Köln hat gegen einen Lokführer unddrei weitere Bahnbedienstete Anklage beim
Landgericht Köln wegen des schweren Zugunglücks von Brühlerhoben. Sprecherin Regine Appenrodt wollte
am Freitag allerdings noch keine Einzelheiten nennen, da die Anklageschriftden Betroffenen erst zugestellt
sein müsse. 

Bei dem Unglück im Bahnhof von Brühl bei Köln waren am6. Februar neun Menschen getötet und 149
Fahrgäste verletzt worden. Der Nachtexpress von Amsterdam nachBasel war an einer Weiche entgleist. Als
Hauptschuldiger gilt bisher der 28-jährige Lokführer, dernach den Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und
Eisenbahn-Bundesamt an einer Baustelle zu früh wieder beschleunigthatte. Er war den Ermittlungen zufolge
mit Tempo 122 durch den Bahnhof gerast, obwohl wegen Bauarbeiten nur40 Kilometer pro Stunde zugelassen
waren. 

Die Staatsanwaltschaft hatte nicht nur gegen den Lokführer ermittelt,sondern auch gegen eine
Fahrdienstleisterin, die in der Unglücksnacht Dienst hatte, sowievier für die Vorschriften zur Durchfahrt der
Baustelle verantwortliche Bahnangestellte. Es wurde geprüft, obdiese Mitschuld an dem Geschehen haben
könnten.
 

Berichterstattungdes WDR: http://wdr.de/online/news/prozessauftakt/index.phtml

SeitenanfangZurückHomepage Ulis Eisenbahnseiten


Autor: Uli M@schek,10.07.2001