Richtungen

Neoplastizismus

Die neue Kunstrichtung als Ausdrucksform für eine neue ideale Welt wird von Mondrian als Neoplastizismus bezeichnet, was eine wörtliche Übersetzung der niederländischen Redewendung nieuwe beelding ist, die im Deutschen neue Gestaltung heißt. Die Grundideen dieser neuen Kunstrichtung stellte Mondrian in einem Aufsatz von 1926 wie folgt dar:

Allgemeine Prinzipien des Neo-Plastizismus:

  • Als plastisches Mittel soll gelten: die Fläche oder das Prisma, rechteckig, in einer Grundfarbe (Rot, Blau und Gelb) und in einer Nichtfarbe (Weiß, Schwarz und Grau). In der Architektur gilt der leere Raum als Nichtfarbe. Das Material kann dort als Farbe gelten.
  • Die Äquivalenz der plastischen Mittel ist notwendig. Obwohl sie sich im einzelnen nach Größe und Farbe unterscheiden, sind sie doch von gleichem Wert. Das Gleichgewicht schreibt im allgemeinen eine große Ausdehnung an Nichtfarbe oder an leerem Raum vor, und eine kleinere Ausdehnung an Farbe oder an Materie.
  • Die im plastischen Mittel enthaltene Dualität der Gegeneinandersetzung ist auch in der Komposition erforderlich.
  • Das konstante Gleichgewicht wird durch die Beziehung der Entgegensetzung erzielt. Es wird durch die gerade Linie (Grenze des plastischen Mittels) und die Haupt-Entgegensetzung (die rechtwinklige) ausgedrückt.
  • Das Gleichgewicht, welches die plastischen Mittel neutralisiert und aufhebt, wird durch die Proportionsbeziehungen bewirkt, in welchen sich die plastischen Mittel zueinander verhalfen. Diese Proportionsbeziehungen erzeugen den lebendigen Rhythmus.
  • Jegliche Symmetrie ist ausgeschlossen.
Der Neo-Plastizismus und die Form:

In der Natur werden die Beziehungen verschleiert durch die Materie, die als natürliche Form, als natürliche Farbe oder als natürlicher Ton erscheint.

Dieser «Morphoplastik» sind unbewußt alle Künste in der Vergangenheit gefolgt. Daher war in der Vergangenheit die Kunst «nach Art der Natur». Durch die Jahrhunderte hindurch hat die Malerei die Beziehungen plastisch durch die natürliche Form und durch die natürliche Farbe ausgedrückt, bis sie nun in unserer heutigen Zeit zur Plastik der alleinigen Beziehungen kommt. Durch die Jahrhunderte hindurch hat sie mit Hilfe der natürlichen Form und der natürlichen Farbe komponiert, bis im gegenwärtigen Augenblick die Komposition selbst zum plastischen Ausdruck, zum Bild wird.

Der Neo-Plastizismus und die Farbe:

Unbeschadet seines «verinnerlichten» plastischen Ausdrucks bleibt der Neo-Plastizismus Malerei. Sein Ausdrucksmittel jedoch ist die reine und bestimmte Farbe, deren Flächen der Oberfläche des Bildes äquivalent bleiben, das heißt: die Farbe bleibt flach in der Fläche. Sie wird nicht entsprechend den Modulationen der Form abgeschwächt, sie ist somit stärker als in der Morphoplastik. Die Farbe findet ihre äquivalente Entgegensetzung in der Nichtfarbe, das heißt im Weiß, im Schwarz und im Grau.

Psychologische und soziale Konsequenzen des Neo-Plastizismus:

Das Gleichgewicht durch Äquivalenz zwischen Natur und Geist, zwischen Individuellem und Universalem, zwischen Weiblichem und Männlichem, das allgemeine Prinzip des Neo-Plastizismus, ist nicht nur in der Plastik, sondern auch im Menschen selbst und in der Gesellschaft zu verwirklichen. In der letzteren könnte die Äquivalenz zwischen dem, was des Stoffes, und dem, was des Geistes ist, eine bis zur Stunde nie gekannte Harmonie schaffen.

Durch Verinnerlichung dessen, was wir als Materie, und durch Veräußerlichung dessen, was wir als Geist kennen – bis heute ist beides zu getrennt – wird Materie-Geist zu einer Einheit.

Der Neo-Plastizismus zeigt die genaue Ordnung auf. Er zeigt Recht und Billigkeit auf, denn die Äquivalenz in der Komposition der plastischen Mittel macht Rechte von gleichem Wert für alle geltend, wiewohl sie sich immerhin unterscheiden.

Das Gleichgewicht durch eine sich widersprechende und sich dabei neutralisierende Gegenüberstellung hebt die Individuen als besondere, vereinzelte Persönlichkeiten auf und schafft damit die zukünftige Gesellschaft als eine wirkliche Einheit.

Mondrian, 1926, nach Seyphor, Seite 168-170



 
 
Theo van Doesburg, Simultane Kontrakomposition, 1929

Elementarismus

Theo van Doesburg bezeichnet seine Phase der "klassisch-abstrakten Komposition" 1924 als abgeschlossen. Damit meint er die Kompositionen ab 1918, die nicht mehr von einem Motiv in der Natur ausgingen.


"Der Elementarismus bereitet die Möglichkeit einer elementaren Kontra-Skulptur vor, und der erste Schritt, der dabei getan werden muss, besteht darin, aus Verachtung für die euklidsche Weltanschauung (die von einem stabilen Punkt ausgeht) die statische Achse zu vernichten [...]"
(Theo van Doesburg, Malerei und Plastik, 1926/ 1927) H. L. C. Jaffé: Mondrian und De Stijl, Köln 1967, Seite 210, in: Sprache der Geometrie, Seite 54

Statt wie vorher mit Gleichgewicht, soll der Fortschritt in der Gestaltung durch Polarität auf einer höheren Ebene realisiert werden. Die neue Polarität wird durch die Diagonale verkörpert [Villa Stuck, Seite 84]. Die neuen Erkenntnisse in der Wissenschaft, insbesondere Einsteins Relativitätstheorie löst zu diesem Zeitpunkt auch bei anderen Künstlern eine Begeisterung aus. Vergleichbar mit dem Forschungsdrang und der Bewußtseinserweiterung durch das Erlebnis neuer Dimensionen sei nach Theo van Doesburg das Bedürfnis der Menschen nach dem Spüren neuer Dimensionen in der Kunst. Daher sieht er im Elementarismus Realität gegenüber Abstraktion im Neoplastizismus. Seine Begründung für die Entstehung des Elementarismus faßte Mondrian als herbe persönliche Kritik auf:


"Der Elementarismus ist teils als Reaktion auf eine allzu dogmatische und oft kurzsichtige Anwendung des Neoplastizismus geboren [...] Die elementare (antistatische) Kontra-Komposition fügt der orthogonalen und perimetrischen Komposition eine neue Dimension hinzu. Dadurch hebt sie den Gegensatz Waagerecht – Senkrecht erst richtig auf, führt krumme, dissonierende Oberflächen ein, die im Widerspruch zur Schwerkraft und Statik der architektonischen Struktur stehen. In der Kontrakomposition spielt das Gleichgewicht der flachen Oberfläche nur eine kleine Rolle. Jede Oberfläche bildet einen Teil des perimetrischen Raums, und die Konstruktion muß eher als ein Phänomen der Spannung denn als eine Phänomen der Beziehung der Oberflächen betrachtet werden."
Villa Stuck, Seite 84

Theo van Doesburg unterteilt die Entwicklung der Kompositionsformen in vier Phasen:

  • klassisch-symmetrisch
  • kubistisch-konzentrisch
  • neoplastizistisch-peripher: kein Mittelpunkt, der Schwerpunkt liegt am Rand oder außerhalb
  • elementar-antistatisch: Hinzufügung der diagonalen Dimension und Aufhebung der Schwerkraft
Bei der Entwicklung des Elementarismus wurde Theo van Doesburg durch Dada, Futurismus, Stijl, den russischen Suprematismus und El Lissitzkys "Proun" beeinflußt. [Villa Stuck, Seite 85ff]

 
 
Martin Sommer nach Theo van Doesburg in [Villa Stuck, Seite 94]

Farbe im Elementarismus

Der Elementarismus ist als philosophischer Abschluß der Entwicklung Theo van Doesburgs anzusehen. Für den Elementarismus entwickelte Doesburg eine neue Gestaltungslehre: Er sah Farbe als Gestaltungsmaterie mit verschiedenen "Energiezuständen" an und formulierte eine Farbenlehre, die nach Farbspannungen von zunehmender Intensität unterscheidet.

Ausgehend von einer Grundfarbe, die in "gleichmäßiger" Spannung zu sich selbst steht, wird zu einer anderen Grundfarben eine Mischreihe gebildet, mit der die Ausgangsfarbe in "vollständigem Kontrast" steht. In der Mischreihe wird der Anteil der zweiten Grundfarbe von ¼ (vollständig dissonant) über ½ (unvollständig dissonant) und ¾ (unvollständiger Kontrast) erhöht, bis in der letzten Stufe die beiden Farben in "vollständigem Kontrast" zueinander stehen. Insgesamt werden Mischreihen mit allen Grundfarben gebildet, so daß 25 Farbspannungen entstehen, die für die elementaristische Malerei von Bedeutung seinen. [Villa Stuck, Seite 94]

Analog zur Farbe unterscheidet Doesburg die Form, womit er das Volumen bzw. die Plastik meint. Dabei geht er von Linien als Grundelementen aus, die gleichmäßig, dissonant, kontrastierend oder komplementär sein können. Ferner behandelt van Doesburg in seiner Neuen Gestaltungslehre den Raum und die Architektur, sowie die Einheit aus Farbe, Form und Raum.



 
Martin Sommer, 6. Nov. 2002 < Künstler ^ > Einflüsse auf De Stijl