Unfall Brühl

Am 06.02.2000 verunglückte der D 203 im Bahnhof Brühl. Inhalt dieser Seite soll es sein, aus den im Internet und in Funk und Fernsehen erhältlichen Informationen einen möglichen Unfallhergang zu rekonstruieren und mögliche Ursachen darzustellen. Dank geht an Marcus Mandelartz, Franz Reh und alle anderen, die mit wertvollen Hinweisen zum Zusammentragen der Informationen beigetragen haben.

Liebe Journalisten,
ich weiß, dass ihr hier lest. Bitte diese Seite aufmerksam und vollständig durchlesen! Verschont uns Medienkonsumenten in Zukunft bitte mit tendenziösen und schlecht recherchierten Berichten. "Die Bahn" ist eine hochkomplexe Materie, die nur auf den ersten Blick einfach erscheint. Und beim Lesen immer bedenken:

Alles ist reine Spekulation!

Örtlichkeit | Unfallablauf | Schlussfolgerungen | Häufig gestellte Fragen | Abkürzungen und Fachbegriffe
Pressestimmen



Blick auf die Unfallstelle (Quelle: WWW)

Örtlichkeit 

Folge-La

  • Zum Unfallzeitpunkt ist die zwischen km 13,5 und 13,6 gelegene Weiche wegen Bauarbeiten  gesperrt; anschließend sollte eine Langsamfahrstelle (Folge-La) mit 90 km/h eingerichtet werden, deren Geschwindigkeit später auf 120 km/h heraufgesetzt werden sollte. Am km 12,5 steht das Lf 1 im Bremswegabstand vor der Langsamfahrstelle.
  • Unklar ist, ob schon zum Unfallzeitpunkt auch am km 12,6 ein Lf 1 aufgestellt ist, damit auch die auf dem Streckengleis der Gegenrichtung aus Hürth-Kalscheuren kommenden Züge, die nach Passieren des Einfahrsignals A2 auf das durchgehende Hauptgleis der Regelrichtung wechseln, eine Ankündigung der Langsamfahrstelle bekommen. Dieser kann nicht im Bremswegabstand aufgestellt werden, deshalb soll versucht werden, diesen im größtmöglichen Abstand vor der Langsamfahrstelle zu positionieren. Da sich aber an die Weiche 2 gleich die Weiche 3 anschließt, deren Zweiggleis nach rechts abzweigt, kann nicht unmittelbar nach der Weichenverbindung 1 - 2 dieses Lf 1 aufgestellt werden. So entscheidet man sich, das Signal links vom Gleis am km 12,6 aufzustellen.

Schutz-La

  • Im Gegengleis ist eine Schutz-La mit 120 km/h zum Schutz der Baustelle eingerichtet.

Lageplan mit der Lf-Beschilderung am Tag nach dem Unfall
(vereinfachte Symbolik, nur relevante Signale dargestellt) 
magenta: gefahrener bzw. geplanter Fahrweg des Zuges 
rot: in der Betra nicht enthaltene Signale

Unfallablauf

Kurzfassung

  • Das Einfahrsignal des Bf Brühl zeigt Hp 0 (Halt) und Zs 1 (Ersatzsignal).
  • Der Zug fährt mit 40 km/h in den Bahnhof ein. Das Zs 1 gilt bei einem Einfahrsignal bis zum nächsten Signal, hier bis zum 2300 m entfernten Ausfahrsignal N3 des Pbf 
  • Die Schutz-La ist im "Verzeichnis der vorübergehenden Langsamfahrstellen" auch für das durchgehende Hauptgleis der Gegenrichtung verzeichnet (siehe Auszug aus Zuarbeit zur La, Strecke 14 a, Zeile 1), also für das Gleis, was der Zug nun befährt.
  • Der Tf vergisst das Zs 1 am rückliegenden Signal und durchfährt die Langsamfahrstelle mit 90 km/h.
  • Nachdem der Tf die Langsamfahrstelle passiert hat, beginnt er auf Buchfahrplangeschwindigkeit (140 km/h) zu beschleunigen. 
  • Im Gegenbogen hinter der Weiche 48 entgleist der Zug bei 122 km/h.

Ausführliche Beschreibung

  • D 203 wechselt im Bf Hürth-Kalscheuren auf das linke Gleis (Gegengleis). Das Ausfahrsignal zeigt Hp 2 (Langsamfahrt) und Zs 6 (Gleiswechselanzeiger).
  • Der Zug fährt nach Verlassen des Weichenbereiches mit Buchfahrplangeschwindigkeit von 140 km/h im Gleiswechselbetrieb (GWB).
  • Das Vorsignal (in der Skizze nicht dargestellt) zeigt "Halt erwarten", demzufolge bekommt der Zug eine 1000 Hz-Beeinflussung, die der Tf ordnungsgemäß quittiert. Der Tf bremst seinen Zug; der Bremsvorgang wird durch das Zugsicherungssystem (INDUSI bzw. PZB) der Lok überwacht.
  • Das Einfahrsignal des Bf Brühl zeigt Hp 0 (Halt) und Zs 1 (Ersatzsignal). Am gleichen Standort befindet sich ein Vorsignal, welches aber keinen Signalbegriff anzeigt; es ist wegen der Haltstellung des Hauptsignals dunkelgeschaltet.
  • Der Zug fährt mit 40 km/h in den Bahnhof ein. Der Lokführer überbrückt die 2000 Hz-Beeinflussung mit der Befehlstaste. Dadurch wird die Zugsicherungseinrichtung der Lokomotive kurzzeitig ausgeschaltet. Das Zs 1 gilt bei einem Einfahrsignal bis zum nächsten Signal, hier bis zum 2300 m entfernten Ausfahrsignal N3 des Pbf (in der Regel beträgt der Vorsignalabstand 950 ... 1500 m). Über den ungewöhnlichen Fahrweg hätte er gemäß Betra vom Fahrdienstleiter über Funk verständigt werden sollen, was jedoch unterblieb.
  • Das darauf folgende Sperrsignal zeigt Sh 1.
  • Die Schutz-La ist im "Verzeichnis der vorübergehenden Langsamfahrstellen" auch für das durchgehende Hauptgleis der Gegenrichtung verzeichnet (siehe Auszug aus Zuarbeit zur La, Strecke 14 a, Zeile 1), also für das Gleis, was der Zug nun befährt.
  • Sollte zwischen den durchgehenden Hauptgleisen am km 12,6 das Lf 1 mit Kennziffer 9 (oder 12) gestanden haben, trägt dies zusätzlich zur Verwirrung des Tf bei: Während das La-Verzeichnis eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h in seinem Gleis vorsieht, wird eine Langsamfahrstelle mit 90 km/h durch das Lf 1 signalisiert.
  • Durch diese hohe Informationsdichte vergisst er das Zs 1 am rückliegenden Signal und durchfährt die Langsamfahrstelle mit 90 km/h.
  • Bis zum Erreichen der Langsamfahrstelle kann es keinen Zweifel darüber geben, dass er sich noch im Bahnhof befindet. Trotzdem verletzt er die durch das Zs 1 auferlegte Geschwindigkeitsgrenze von 40 km/h.
  • Die Schutz-La ist laut Anlage der Betra nur in Regelrichtung zu beschildern. Trotzdem sind Anfangs- und Endpunkt in beiden Richtungen mit Lf  2 bzw. Lf 3 beschildert.
  • Nachdem der Tf die Langsamfahrstelle passiert hat, beginnt er auf Buchfahrplangeschwindigkeit (140 km/h) zu beschleunigen. Ob er denkt, dass er sich inzwischen auf der freien Strecke befindet oder auf einer Fahrstraße durch den Bahnhof fährt, ist weniger relevant, da er in Gedanken das Zs 1 längst verdrängt hat. Das Vergessen der auferlegten Geschwindigkeitsrestriktion wird durch den ungewöhnlich langen Abstand zwischen dem Einfahr- und Ausfahrsignal begünstigt.
  • Kurz vor der Unglücksweiche passiert der Zug ein Sh 1 zeigendes Sperrsignal. Dies garantiert lediglich die Festlegung der Fahrstraße auf Rangierstraßenniveau - über eine Stellung von Weichen wird nichts ausgesagt.
  • Im Gegenbogen hinter der Weiche 48 entgleist der Zug bei 122 km/h.

Betra-Auszug aus der Zuarbeit zum Verzeichnis der vorübergehenden Langsamfahrstellen

Schlussfolgerungen

Diese Bewertung stellt die persönliche Meinung des Autors dar. Sie basiert auf den oben geschilderten, spekulativen Annahmen zum Unfallablauf. Nur die offizielle Untersuchung des Eisenbahn-Bundesamtes kann eine endgültige Klärung herbeiführen.
Nach Lage der Vorschriften war der Triebfahrzeugführer verpflichtet, die durch das Zs 1 gebotene Geschwindigkeit bis zum nächsten Hauptsignal einzuhalten. Dabei ist aus allen Geschwindigkeitsinformationen die jeweils geringste auszuwählen. Diese sind u. a.: 
  • zulässige Geschwindigkeit der Strecke (hier: 160 km/h)
  • Geschwindigkeit des Fahrzeugs im Verband, welches die geringste Fahrzeughöchstgeschwindigkeit aufweist (hier vermutlich: 140 km/h)
  • Geschwindigkeit nach Buchfahrplan (hier: 140 km/h)
  • Geschwindigkeit einer Langsamfahrstelle (hier: 120 km/h)
  • die durch Haupt- und Zusatzsignale angezeigte Höchstgeschwindigkeit (hier: 40 km/h).

DS/DV 408 (ehemals Fahrdienstvorschrift)

DS/DV 408.0341 Fahrt des Zuges

(3) b) Die zulässigen Geschwindigkeiten können eingeschränkt sein durch 
  • Signale,
  • die für besondere Betriebsverhältnisse und für Unregelmäßigkeiten gegebenen Regeln,
  • schriftlichen Befehl oder Fahrplan-Mitteilung,
  • den Fahrplan bei einem LZB-geführten Zug bei Ausstieg aus der LZB,
  • Regeln für das Bedienen der Triebfahrzeuge
Die jeweils niedrigste Geschwindigkeit ist die zulässige Geschwindigkeit des Zuges. 

DS 408.0455 Zugfahrt ohne Hauptsignal

(11) a) Die zulässige Geschwindigkeit beträgt 40 km/h
1. für Zugfahrten ohne Hauptsignal, die mit schriftlichem Befehl, Signal Zs 1 oder Zs 8 zugelassen werden
2. für Zugfahrten an einem Hauptsignal auf mündlichen Auftrag, 
3. für Zugfahrten am Lichtsperrsignal im signalisierten Falschfahrbetrieb, die auf Signal Sh 1 oder mit schriftlichem Befehl zugelassen werden, 
4. für zurückkehrende Schluß-Triebfahrzeuge und Sperrfahrten, die auf Signal Ts 3 oder mit schriftlichem Befehl zugelassen werden.
Diese Geschwindigkeit gilt, bis der Zug am Signal vorbeigefahren ist und für den etwa anschließenden Weichenbereich, sofern nicht innerhalb des Weichenbereichs eine niedrigere Geschwindigkeit angezeigt wird. Ist kein Signal vorhanden, liegt der Anfang des etwa anschließenden Weichenbereichs an der Stelle, von der ab der schriftliche Befehl gilt. 

Signalbuch

Eisenbahn-Signalordnung (ESO) und Ausführungsbestimmungen (AB) 

Abschnitt A: Allgemeines 

b) Begriffsbestimmungen 

3. Der anschließende Weichenbereich ist wie folgt begrenzt: Der Anfang liegt an dem Signal, an dem die Fahrt zugelassen wird. Das Ende liegt
  • bei einer Fahrt auf Einfahrsignal oder Zwischensignal am folgenden Hauptsignal oder an einem etwa davor liegenden gewöhnlichen Halteplatz des Zuges, 
  • bei einer Fahrt auf Ausfahrsignal hinter der letzten Weiche im Fahrweg, 

  • auf Abzweigstellen und auf Anschlußstellen mit Hauptsignal hinter der letzten Weiche im Fahrweg.

Die Information, dass es sich beim Signal A2 um ein Einfahrsignal handelt, konnte der Lokführer aus dem Buchfahrplan ablesen, eine besondere Kennzeichnung des Signals selbst existiert nicht. Bei den meisten anderen Bahnhöfen findet sich diese Information (kilometrische Angabe des Einfahrsignals) nicht im Buchfahrplan. Der Lokführer konnte also das Signal in Brühl eindeutig als Einfahrsignal identifizieren.

Es sind jedoch Umstände zu berücksichtigen, die den Triebfahrzeugführer verwirrten: 

  • Der Eintrag im Verzeichnis der Langsamfahrstellen war nicht falsch, jedoch waren im betreffenden Gleis die angegebenen 120 km/h bei der gegebenen Infrastruktur (keine Fahrstraße) gar nicht möglich.

R 406.0102 Betra erarbeiten, La erarbeiten

3 Erarbeiten der Betra

(14) Wenn in begründeten Ausnahmefällen auf kurze Dauer oder für einzelne Züge die Aufnahme von Angaben in die La nicht zweckmäßig ist, bestimmen Sie, daß das Zugpersonal durch schriftliche Befehle zu unterrichten ist. Ordnen Sie in der Betra die Verständigung des Zugpersonals durch schriftlichen Befehl an. 

8 Erarbeiten der La

(1) ... Prüfen Sie bei Eingang der Anmeldungen zur La, ob alle Angaben plausibel, vollständig und ... genehmigt sind. ... 

(11) In folgenden Fällen verzichten Sie auf La-Einträge: 

  • Unterrichtung durch schriftliche Befehle gemäß Ziffer 3 Abs. 14
  • Langsamfahrstellen > 160 km/h
  • Die Langsamfahrstelle zum Schutz der Baustelle war laut Betra nicht für das durchgehende Hauptgleis der Gegenrichtung ausgeschildert. Dass Anfangs- (Lf 2) und Endetafel (Lf 3) auch in Gegenrichtung zu sehen waren, liegt an der fehlerhaften Aufstellung der Tafeln ("Das machen wir immer so.") - geplant war es nicht.
  • Weitere Verwirrung stiftete das Lf 1 mit Kennziffer "9" am km 12,6 (wenn es zum Unfallzeitpunkt gestanden hat), welches zwischen den durchgehenden Hauptgleisen aufgestellt war. Dieses sollte eigentlich für das durchgehende Hauptgleis und nicht für das der Gegenrichtung gelten und war laut Lageplan der Betra hier ebenfalls nicht vorgesehen.

Signalbuch

Eisenbahn-Signalordnung (ESO) und Ausführungsbestimmungen (AB) 

Abschnitt A: Allgemeines 

b) Begriffsbestimmungen

2. In der Signalbeschreibung sind die Bezeichnungen rechts und links im
Sinne der Fahrtrichtung zu verstehen.

2a. Zuordnungstafel
Das durch eine Zuordnungstafel gekennzeichnete Signal gilt für das
Gleis, auf das die Spitze des Dreiecks weist.

Ein schwarzes Rechteck mit weißem Dreieck

Abschnitt B: Die Signale

VI Langsamfahrsignale (Lf)

54. Die Langsamfahrscheibe steht in der Regel unmittelbar rechts neben dem Gleis. Für Fahrten auf falschem Gleis, bei Gleiswechselbetrieb und bei zeitweise eingleisigem Betrieb kann sie auch links stehen. Das Signal wird durch die Zuordnungstafel gekennzeichnet, wenn es auf Grund seines Standorts zwischen zwei Gleisen unzutreffend auch für das Nachbargleis gültig sein würde. ... 

55. Wenn bei einer Abzweigstelle die Langsamfahrscheibe für eine erst auf der abzweigenden Strecke beginnende Langsamfahrstelle auf der Gemeinschaftsstrecke aufgestellt ist, sind die aus der Gemeinschaftsstrecke in die andere abzweigende Strecke einfahrenden Züge durch schriftlichen Befehl oder die La zu verständigen, daß das Signal Lf 1 nicht gilt. Zusätzlich wird das Signal um einen gelben Richtungspfeil ergänzt, der anzeigt, für welche Fahrtrichtung das Signal gilt.

Es ergab sich eine erhöhte Informationsdichte für den Tf, die ihn das Zs 1 vergessen ließ - was allerdings keine Entschuldigung für die Missachtung ist.

Ein weiterer Aspekt ist interessant: Das dunkle Vorsignal weist den Lokführer darauf hin, daß er in einen Abschnitt mit fehlender Vorsignalinformation einfährt. Das bedeutet: Das nächste Signal ist ein Hauptsignal, dessen Stellung dem Lokführer nicht durch ein Vorsignal angekündigt wird. In dieser Situation schreibt die Fahrdienstvorschrift eine Fahrtgeschwindigkeit von 40 km/h bis zum Erkennen der Stellung des nächsten Hauptsignals vor. Da die Strecke bis zum Erkennen des Signals kürzer ist, als die Strecke zum Erreichen des Signals (so durch Zs 1 vorgeschrieben), ist die Anwendung dieser Regel hier nicht gefordert. Bei Erkennen dieser Situation und Umsetzen der Regeln wäre aber der Unfall auch vermieden worden, unabhängig davon, ob der Lokführer das betreffende Siganal als Einfahrsignal identifiziert hat oder nicht.

Außerdem muss die Frage gestellt werden, ob der Tf überhaupt richtig ausgebildet war. Nach verschiedenen Berichten war er mit der Betriebsform "Gleiswechselbetrieb" nicht ausreichend vertraut.

Häufig gestellte Fragen

Warum war das Gleis 2 des Personenbahnhofs nicht mit einem Ausfahrsignal N2 ausgerüstet bzw. warum gab es im Güterbahnhof kein Zwischensignal R2?

Nicht alle Fahrwege im Bahnhof sind mit Zugstraßen und somit auch mit Signalen ausgerüstet. Als der Bahnhof Brühl vor ca. 20 Jahren ein Relaisstellwerk erhielt, übernahm man größtenteils die Fahrstraßen, die in der Alttechnik vorhanden waren. Die Ausrüstung im Bf Brühl war früher gängige Praxis. Als der GWB eingerichtet wurde, wurden die Fahrstraßen im Bahnhof aber nur im geringstmöglichen Umfang nachgerüstet. Das wäre so heute nicht mehr genehmigungsfähig. Bei heutigen Stellwerksneubauten sieht man in der Regel für alle Fahrwege auch Zugstraßen vor.

War laut Betra die Durchfahrt durch Gleis 2 des Pbf vorgesehen?

Nein. Diese Vermutung rührt aus einem Schreibfehler in der Betra: 
Bf Brühl Gbf
ESig A2 - Zs 1 (Sh W1) - 40 km/h
Einfahrt nach Gl 2 Brühl Gbf/Weiterfahrt nach Gleis 3 Brühl Pbf
Die Tf bitte über die Fahrt durch Gleis 2 (Pbf) - Gleis 3 (Gbf) verständigen.
Hier wurde lediglich Gbf und Pbf verwechselt. Dass es sich dabei nur um einen Schreibfehler handelt, erklärt sich allein daraus, dass der Gbf gar kein Gleis 3 besitzt und schon in der nächsten Zeile zu lesen steht: 
Bf Brühl Pbf ASig N3 - Hp 2 - 60 km/h.

Hätten die Tf über diesen Fahrweg informiert werden müssen?

Jein. Wie oben angeführt, hieß es in der Betra: 
Die Tf bitte über die Fahrt durch Gleis ... verständigen.
Was bedeutet "bitte verständigen"? "Ist zu verständigen" oder "Ist möglichst zu verständigen"?
Allerdings war auf dem Deckblatt der La folgender Vermerk angebracht: 
Der Zugfunk ist ... nur eingeschränkt verfügbar. Die Ursache konnte noch nicht festgestellt werden. Wir bitten Sie deshalb, die Anmeldungen über Zugbahnfunk auf betrieblich notwendige Mitteilungen zu beschränken.

Hätte der Fahrdienstleiter auf dem Stellwerk "Bf" erkennen müssen, dass der D 203 zu schnell war?

Als der Zug am Stellwerk vorbeifuhr, hatte er kurz vorher das Einfahrsignal A2 mit 38 km/h passiert. Somit war an dieser Stelle noch nicht die überhöhte Geschwindigkeit erkennbar. Erst im Gleis 2 des Gbf beschleunigte der Zug; am km 13,3 soll er bereits eine Geschwindigkeit von 82 km/h gehabt haben. Bei gegebener Sichtbarkeit hätte der Fahrdienstleiter (Fdl) also erst in größerer Entfernung die überhöhte Geschwindigkeit erkennen können - wenn er ihn überhaupt beobachtet, wozu er nicht verpflichtet ist.

Hat DB Netz heimlich die Signalisierung der Langsamfahrstellen entfernt?

Nein. Vermutlich wurden die Tafeln planmäßig mit dem Ende der Bauarbeiten entfernt.

Gab es eine Fahrstraße von A2 über Gleis 2 ins Gegengleis, welche der Tf geglaubt haben könnte zu befahren?

Diese, nach anonymen Hinweisen aufgekeimte Vermutung hat sich nicht bestätigt. Möglicherweise resultiert die Vermutung aus einer Verwechslung mit einer anderen Fahrstraße: Vom Zwischensignal R1 kann mit großer Wahrscheinlichkeit durch Gleis 2 ausgefahren werden. In dem Fall nimmt das Zwischensignal den Charakter eines Ausfahrsignals an.

Hätte eine derart lange, langsam zu befahrende Strecke durch Zugbeeinflussung gesichert werden müssen?

Im Vorschriftenwerk der DB gibt es eine Regel, nach der hinter Einfahrsignalen mit besonders langem Einfahrweg Geschwindigkeitsprüfeinrichtungen (GPE) zu installieren sind. Diese Regel kommt hier aber nicht zur Anwendung, da es sich bei der betreffenden Fahrt nicht um eine reguläre Fahrstraße handelt. Der Betra-Bearbeiter hätte hier allerdings in eigener Verantwortung erkennen und entscheiden müssen, eine solche Einrichtung zu installieren.
 
BZA München - ... - vom 21.03.1989

... sind bei Bahnhöfen mit besonders langen Einfahrwegen (Abstand Einfahrsignal - Einfahrweiche) GPE 2000 Hz hinter den Einfahrsignalen einzubauen ...

Sinn der zitierten Regelung ist Gefährdungen vorzubeugen, die entstehen könnten, wenn der Tf nach der Vorbeifahrt am Einfahrsignal sich aufgrund der Örtlichkeit auf der freien Strecken wähnen kann, sich in Wirklichkeit aber im Bahnhofsbereich befindet und unzulässig vor der Einfahrweiche die Geschwindigkeit erhöht (Weichenbereichsregelung).

Es sollen also Fälle abgedeckt werden, bei denen z. B.

  • geeignete Anhaltspunkte für den Tf fehlen und er nicht ohne weiteres erkennen kann, daß er sich im Bahnhofsbereich befindet.
  • ein Haltepunkt oder eine Anschlußweiche kurz hinter dem Einfahrsignal
liegt, die Einfahrweiche in den Bahnhof aber erst in größerer Entfernung hinter dem Haltepunkt oder der Anschlußweiche folgt.

Einen Grenzwert festzulegen, ab welcher Länge der Einfahrweg als besonders lang anzusehen ist, ist nicht möglich, da die örtlichen Verhältnisse die entscheidende Rolle spielen. Es ist daher von der BD von Fall zu Fall zu prüfen, ob bei "besonders langen" Einfahrwegen beim Tf Zweifel über das "Ende des Weichenbereiches" bzw. ob er sich in einem Weichenbereich befindet, aufkommen können und danach über den Einbau einer GPE zu entscheiden.

Ist eine geplante Fahrt auf Ersatzsiganl überhaupt zulässig?

Die Reichbahn hatte die "Grundsätze für die Änderung und Ergänzung der sicherungstechnischen Anlagen bei Bauarbeiten (Baugrundsätze)" erlassen. Diese sind zum 01.05.1984 in Kraft getreten und werden weiterhin im Bereich der ex. Reichsbahn angewendet. Darin heißt es: "1.4.1 Sicherungstechnische Maßnahmen sind nicht erforderlich, wenn während der Baumaßnahme nicht mehr als 75 Züge ohne Signal oder ohne Signalbedienung fahren müssen." - 69 Züge waren im Fall Brühl betroffen.

Im Bereich der ex. Bundesbahn gibt es zwar nicht solch umfassende Vorschriften wie die Baugrundsätze, aber in der langsam aussterbenden (weil durch 819 ersetzten) Konzernrichtlinie 818 gibt es die 

  • "Grundsätze für die Einrichtung und Sicherung von Fahrwegen bei Bauarbeiten" [1] 
  • "Vorläufige Richtlinien für den signalisierten Falschfahrbetrieb"
  • " ... GWB" usw. 
Weitere Festlegungen zu Bauarbeiten sind jeweils in den einzelnen Abschnitten der DS 818 verteilt. In [1] ist folgende Formulierung enthalten: "§3(1) Für die Durchführung von Bauarbeiten sind in der Regel signaltechnisch gesicherte Fahrwege - Fahrstraßen - einzurichten. Soll hiervon ausnahmsweise abgewichen werden (z.B. bei Bauarbeiten von sehr kurzer Dauer [dieser Zustand ist hier m. E. gegeben - d. Verf.]), so sind die betrieblichen Bestimmungen für Fahrten, für die ein Hauptsignal nicht vorhanden ist oder nicht auf Fahrt gestellt werden kann, zu beachten."

Dies deckt sich in etwa mit dem zitierten Absatz aus den Baugrundsätzen und lässt erkennen, dass hier ein gewisser Konsens in den Vorschriften besteht, auch wenn die Bundesbahnvorschrift weniger genaue Angaben über die Dauer macht (Reichsbahn: 75 Züge).

Somit gelangt man in die Zuständigkeit der DS 408 (früher Fahrdienstvorschrift). Dort findet man möglicherweise Argumente, die dem Betra-Ersteller einen Verstoß gegen die (zugegebenermaßen komplizierten) Regeln vorwerfen lassen.

§27 (19) "Soll ein Zug in ein Gleis einfahren, das nicht durch ein Haupt- oder Sperrsignal begrenzt ist ... , so ist er am Ende des Einfahrweges durch ein Schutzsignal anzuhalten." Es ist zu klären, ob das Gleis 2 (Gbf) diese Bedingung erfüllt oder ob man den Einfahrweg bis zum Signal N3 interpretiert. Das dunkle Vorsignal an A2 verpflichtet zum vorsichtigen Fahren bis zum nächsten Hauptsignal, welches in der Regel nach 950 m bis 1500 m zu erwarten wäre (hier in Höhe R1).

§48(5)c) "... darf er durchfahren, wenn ... das Ausfahr- [hier Zwischen-] signal ... die Weiterfahrt erlaubt oder der Tf ... am Einfahrsignal ... die notwendigen schriftlichen Befehle erhalten hat." Der Vordruck des Befehl A sieht auch Einfahrten ohne Signal in Bahnhofsteile (hier Pbf) vor. Der Tf hätte also einen Befehl erhalten müssen.

Abkürzungen und Fachbegriffe

Abkürzung Bezeichnung Bedeutung Bild
La Langsamfahrstelle Gleisabschnitt, in dem mit verminderter Geschwindigkeit zu fahren ist  
La Verzeichnis der vorübergehenden 
Langsamfahrstellen
elektronisches oder gedrucktes Verzeichnis aller vorübergehenden Langsamfahrstellen einer Strecke  
Pbf Personenbahnhof Hier: Bahnhofsteil des Bf Brühl  
Gbf Güterbahnhof Hier: Bahnhofsteil des Bf Brühl  
Bft Bahnhofsteil    
Tf Triebfahrzeugführer

GWB Gleiswechselbetrieb Betriebsweise, bei der ein Gleis einer zweigleisigen Strecke signaltechnisch gesichert entgegen der gewöhnlichen Fahrtrichtung befahren werden kann.  
Betra Betriebs- und 
Bauanweisung
Anweisung zur Durchführung des Eisenbahnbetriebs bei Bauarbeiten mit wesentlicher Beeinflussung des Betriebsablaufes  
Hp 2 Langsamfahrt Es gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h, wenn nicht durch andere Signale oder den Buchfahrplan anders angegeben. Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt 
im anschließenden Weichenbereich (nach Einfahr- oder Zwischensignalen bis zum nächsten Hauptsignal, nach Ausfahrsignalen hinter der letzten Weiche im Fahrweg).
Zs 6 Gleiswechselanzeiger Zusatzsignal: Fahrt auf dem Streckengleis der Gegenrichtung.
Hp 0 Halt Am Hauptsignal ist anzuhalten.
Zs 1 Ersatzsignal Am Halt zeigenden Hauptsignal vorbeifahren. Es gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h. Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt im anschließenden Weichenbereich (nach Einfahr- oder Zwischensignalen bis zum nächsten Hauptsignal, nach Ausfahrsignalen hinter der letzten Weiche im Fahrweg).
Sh 1 Fahrverbot aufgehoben Das Sperrsignal zeigt an, dass ein Gleisabschnitt befahren werden darf. Es gilt für Züge und Rangierfahrten.
Lf 1 Langsamfahrscheibe Es folgt eine vorübergehende Langsamfahrstelle, auf der die angezeigte Geschwindigkeit nicht überschritten werden darf. Die gezeigte Kennziffer bedeutet, dass der 10fache Wert in km/h als Geschwindigkeit zugelassen ist.
Lf 2 Anfangscheibe Anfang der vorübergehenden Langsamfahrstelle
Lf 3 Endscheibe Ende der vorübergehenden Langsamfahrstelle

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Autor: Uli M@schek, 10.07.2001